Havanna,
den 12. Dezember 2007
Lieber
Randy,
zutiefst
bewegt hat mich der außerordentliche Dokumentarfilm der argentinischen
Regisseurin Carolina Silvestre, in dem sie eine Lüge nach der anderen über die
Demokratie und die Menschenrechte im entwickelten und globalisierten
Kapitalismus auseinander nimmt.
Seit
Tagen, seit dem venezolanischen Referendum vom 2. Dezember, versuche ich mich
an eine meiner Äußerungen zu erinnern – unter den Hunderten, die sich aus
meiner revolutionären Mission ergeben – in der ich ganz konkret unsere Haltung
zu den internationalen Verpflichtungen Kubas definierte.
Ich
bat um Kopien verschiedener Unterlagen, in denen ich das Thema behandelte. Der Zufall wollte es, dass eins der präzisesten Dokumente aus dem
Podiumsgespräch stammt. Es ist ziemlich neu,
erst knapp sieben Jahre alt.
Wir stehen in einem Wahlprozess. Ich betrachte die Ideen als
Ausgangspunkt meines politischen Lebens. Als Überschrift des Materials, das ich
dir wortgetreu übersende, würde ich heute seine Schlusszeile setzen: «Die
Geschichte wird zeigen, wer Recht hat.»
Sende
es bitte, wenn möglich, am morgigen Donnerstag.
Den Anlass dazu gaben einige Worte des damaligen
Premierministers Kanadas, Jean Chrétien, auf dem III. Amerika-Gipfel.
Zu jenem Zeitpunkt konnte meine Erklärung belanglos
erscheinen.
Fidel
Castro Ruz
13.
Dezember 2007
An das
Podiumsgespräch einen brüderlichen Gruß und für die schnelle Erledigung ein
Dankeschön im Voraus.
Fidel
Castro
Die Geschichte wird bestimmen, wer im
Recht ist
Antwort
des Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz gegenüber dem Moderator der
informativen Podiumsdebatte vom 25. April 2001, bezüglich Erklärungen des
kanadischen Premierministers Jean Chrétien während des 3. Amerikagipfels.
Comandante:
Sehr gut, so, nun Geduld. Vielleicht ist dieses
Material von Interesse, wenn du mir das Wort erteilst.
Mir schien, es würde sich lohnen, dafür einige
Minuten zu verwenden.
Wirst du vom Austragungsort sprechen?
Randy
Alonso: Vom Austragungsort des 3. Gipfeltreffens und den Erklärungen, die der
kanadische Premierminister abgab.... Es gab einige Erklärungen des
Premierministers, und es gab auch Erklärungen des Außenministers.
Comandante:
Ja, ich wählte eine aus, denn derjenige, den ich am
meisten kenne, ist der Premierminister, und mit ihm bin ich am meisten
befreundet.
Gut,
damit das Volk versteht, um was es sich handelt:
„
Bei
seiner Ankunft im Kongreßzentrum von Quebec, wo an diesem Wochenende das
Gipfeltreffen stattfinden wird, wurde Chrétien gefragt, ob er seine Position
bezüglich des Einschlusses Kubas in den Prozeß der Gipfeltreffen der Länder des
amerikanischen Kontinents verändert habe, da er bei den vorhergehenden
Gipfeltreffen in Miami und Santiago die Präsenz des Castro-Regimes gefordert
hatte.
‚ Ich habe meine Meinung nicht geändert‘, antwortete
Chrétien.
Der
kanadische Premierminister zeigte sich zugeknöpft, als
man ihn fragte, ob Kuba aufgrund der Ablehnung Washingtons nicht in
Als man
ihn drängte, zu benennen, welches
Der
kanadische Premierminister fügte hinzu, daß er ‚ viele Stunden damit verbracht‘ habe, ‚ Castro zu überzeugen´, einige
Vereinbarungen über Menschenrechte zu unterzeichnen, doch er empfing keine
Geste des Regimes von Havanna.
‚
Ich verbrachte Stunden mit ihm (Fidel Castro) bei dem Versuch, ihn davon zu
überzeugen, daß er einige Resolutionen der Vereinten Nationen unterzeichnet‘,
beharrte Chrétien.“
Ich habe viel über diese Aussage des Herrn Chrétien
nachgedacht. Es
bestand keinerlei Erfordernis, eine vorschnelle und improvisierte öffentliche
Bewertung jenes Treffens zu verbreiten.
Ich
habe daran gearbeitet, Daten zu suchen und mit der größtmöglichen Objektivität
das zu rekonstruieren, was wir dort besprachen, und
die Atmosphäre, in der unsere Gespräche vonstatten ging.
Ich bringe hier eine schriftliche Reflexion, und zwar
wegen der Notwendigkeit der Präzision aufgrund des delikaten Charakters der
Themen.
Kurz
nach Beginn des Teffens legte er auf eine fast abrupte Art und Weise eine
kleine Namensliste auf den Tisch, die er offensichtlich erst kurz zuvor
erhalten hatte. Ich erriet fast, um was es sich
handelte. Das war immer dann etwas Gewöhnliches, wenn uns eine politische
Persönlichkeit irgendeines mit den Vereinigten Staaten verbündeten Landes oder irgendein US-Politiker besuchten: das State Department
übergab ihm eine Liste mit Personen, die wegen konterrevolutionären Aktivitäten
angeklagt oder verurteilt wurden. Die Listen waren immer von denen angeführt,
die von größter Wichtigkeit oder größtem Interesse für
die Geheimdienste oder die Regierung der Vereinigten Staaten waren. Er forderte
deren Begnadigung oder Freilassung. Dies war eine
unveränderte Taktik der US-Regierung, um zugunsten ihrer Freunde Druck
auszuüben, unter Ausnutzung jeglichen freundschaftlichen Besuches in Kuba. Da
man in unserem Land mit der größtmöglichen Toleranz vorzugehen pflegt, nehmen
die Behörden nur in Ausnahmefällen die Verhaftung und Aburteilung der
verwickelten Personen vor, wenn deren provokative Handlungen schwerwiegend oder
total unannehmbar sind.
Der
kanadische Premierminister erinnerte mich daran, daß aus Anlaß des
Papstbesuches eine Anzahl von wegen konterrevolutionären Straftaten
verurteilten Personen begnadigt worden war, und er hatte sich verpflichtet, um
das Gleiche für die in der Liste enthaltenen Personen zu bitten.
In
Wirklichkeit behandelte der Papst dieses Thema niemals während seines Gesprächs
mit mir, und er hatte dies über seinen Staatssekretär bei einem anderen
Gespräch mit dem Außenminister getan.
Ohne
auf die Antwort zu warten, schlägt er unmittelbar darauf vor, daß Kuba die
UN-Konvention über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte
unterzeichnet, da Kuba in diesem Bereich genauso viel oder mehr als jedes
andere Land der Erde getan habe. Dies war ohne Zweifel ein einschmeichelnder
Satz und eine äußerst geschickte und zweckmäßige Art, etwas vorzubringen.
Ich
erinnere mich, daß er daraufhin das Freihandelsabkommen zwischen Kanada, Mexiko
und den USA erwähnt, und die Vorhaben, dies auf den Rest Lateinamerikas
auszudehnen, wobei er seine Meinung zum Ausdruck bringt, daß Kuba einen
wichtigen Beitrag leisten könne.
Und
schließlich bezieht er sich auf den Vertrag gegen Anti-Personen-Minen, wobei er
bedauert, daß Kuba ihn nicht unterzeichnet habe, und darum bat, daß es dies tue. Das waren die vier Punkte, mit denen
er seine Gespräche begann. Alle schienen sie sehr
einfach zu sein; trotzdem waren diese vier Punkte äußerst kompliziert.
Ich
fragte ihn, ob es bei den kanadischen Politikern normal wäre, mit dem
Schwierigsten zu beginnen, und ich fügte ihm gegenüber scherzhaft hinzu, daß
wir im Falle eines Nichtbestehens dieser Proben den Besuch platzen lassen
müßten.
Ich
glaube
Es
ist unmöglich, hier jedes dieser Argumente zu
wiederholen. Nur eine sehr kurze Zusammenfassung, mit den
wichtigsten Antworten.
Ich
sagte ihm, daß ich nicht persönlich und unmittelbar entscheiden oder
Zu einem Zeitpunkt sagte er mir, daß er wünsche,
diese Situation zu überwinden, damit wir zu der großen Familie zurückkehrten. Ich sagte ihm, daß wir Lateinamerikaner seien und
fragte ihn, ob es sich darum handele, daß wir zur großen Familie zurückkehrten oder daß die große Familie zu uns zurückkehrte. Ich beendete
diesen Punkt, indem ich ihm antwortete, daß er eine Liste von Personen gebracht
habe, die Söldner im Dienst der Vereinigten Staaten und von diesen bezahlt
seien, und daß sie in Komplizenschaft mit den USA versuchten, die Revolution zu
zerstören. Als Freund müsse ich ihm sagen, daß diese Liste
erniedrigend für Kuba sei. Er bemühte sich zu erklären, daß dies nicht
seine Absicht sei und daß er die Liste vielleicht zu früh vorgelegt hätte.
Nicht
alles war dramatisch. Es gab Scherze und sogar
eingeschobene Witze. Dieser mit einer gewissen
Ausführlichkeit behandelte Teil kann eine Idee von der Intensität der ersten Stunde
des Gesprächs vermitteln.
Bezüglich
seiner Betonung der hemisphärischen Familie sagte ich ihm, daß ich
Hinsichtlich
des zweiten Punktes, der UN-Konvention über Wirtschaftliche, Soziale und
Kulturelle Rechte, zögerte ich nicht ihm zu sagen, daß wir alle Artikel
unterzeichnen könnten, außer zweien, den Artikeln 8 und 13. Der erste könne
sehr gut für ein
Im
Zusammenhang mit diesem Artikel der Konvention, wo man davon spricht, daß jede
Person das Recht hat, Gewerkschaften zu gründen und sich denjenigen seiner Wahl
anzuschließen, einzig den Statuten der entsprechenden Organisation
untergeordnet, um ihre wirtschaftlichen und sozialen Interessen zu fördern und
zu schützen, sagte ich, daß ein solches Gebot in einem Land wie Kuba, wo alle Hand-
und Kopfarbeiter in ihren jeweiligen Gewerkschaften organisiert und fest
vereint sind als revolutionäre Klasse, welche die Macht mit dem Rest des
Volkes, den Bauer, Frauen, Studenten, Nachbarn und den Bürgern im Allgemeinen
teilt, als Waffe und Vorwand des Imperialismus dienen würde, um den Versuch der
Spaltung und Zersplitterung der Arbeiter zu unternehmen, künstliche
Gerwerkschaften zu schaffen und ihre Schlagkraft und ihren politischen und
gesellschaftlichen Einfluß zu mindern. In den Vereinigten Staaten und vielen
Ländern Europas und anderer Regionen bestehe die Strategie des Imperialismus
darin, die Gewerkschaftsbewegung zu spalten, zu schwächen und zu korrumpieren,
bis sie sich den Arbeitgebern völlig wehrlos gegenüber sieht. In Kuba wäre das
Ziel hauptsächlich subversiver und destabilisierender Natur und darauf
gerichtet, die politische Macht zu unterhöhlen, die außergewöhnliche Kraft und
den außerordentlichen Einfluß unserer Arbeiter zu verringern und den
heldenhaften Widerstand des einzigen sozialistischen Staates in der westlichen
Hemisphäre gegenüber der hegemonischen Supermacht zu erodieren.
Das
andere Gebot könne man auch nicht unterschreiben, da es die Türen öffenen würde
für die Privatisierung der Bildung, die in der Vergangenheit zu schmerzhaften
Differenzen und lästigen Privilegien und Ungerechtigkeiten geführt hätte,
einschließlich der Rassendiskriminierung, die unsere Kinder niemals mehr
erfahren werden. Ein Land, dem es in nur einem Jahr gelang, das Analphabetentum
auszurotten, das eine durchschnittliche Schulbildung von neun Jahren erreichte,
über ein außerordentliches und massenhaftes Kontingent von Dozenten und Lehrern
und das gesündeste und erfolgreichste Bildungssystem der Welt verfügte, brauche
keine Verpflichtung hinsichtlich eines solchen Gebotes eingehen.
Ich
sagte Chrétien, daß Lateinamerika seit fast 200 Jahren versuche, das
Analphabetentum zu beenden, und es habe es immer noch nicht geschafft.
Chrétien
schlug vor, daß wir die Konvention unterzeichnen und die Einschränkung bezüglich
der beiden Artikel machen. Wir antworteten ihm, daß man später von
Nichteinhaltung der Konvention spräche und niemand von den Einschränkungen, mit
denen sie unterzeichnet wurde, wisse oder sich an sie
erinnere. Damit könne man nicht spielen!
Bezüglich
des Vertrages über die Minen sprachen wir nicht viel bei diesem Treffen. Ich informierte ihn im Voraus darüber, daß wir ihn nicht
unterzeichnen würden. Daß wir sogar einen
Militärstützpunkt der Vereinigten Saaten auf unserem eigenen Territorium hätten.
Daß die Minen einzig zwischen der Grenze des Stützpunktes und dem Rest unseres
Staatsgebiets installiert seien. Daß die Minen für uns eine defensive Waffe
darstellten und wir nicht den Fehler begehen würden, auf sie zu verzichten; daß
wir keine Atomwaffen und keine intelligenten Bomben oder
Raketen besäßen, genauso wenig wie andere moderne Kriegsmittel, welche die
Später
kam er erneut auf das Thema aus einer Perspektive zurück, die ich zu diesem
Zeitpunkt nicht hätte erahnen können. Bei Beendigung dieses ersten Treffens
versicherte er mir mit offensichtlicher Zufriedenheit und Aufrichtigkeit, daß
es eine exzellente Diskussion gewesen sei. Die Zusammenfassung der wichtigsten
Aspekte der bei unserem ersten Gespräch behandelten Themen kann den Eindruck
verleiten, es sei schroff gewesen. Nichts ist weiter
von der Wirklichkeit erntfernt. Zu jedem Zeitpunkt dominierte
eine herzliche und freundliche Atmosphäre.
Mir
schien es deutlich wahrzunehmen – wenn er es auch nicht sagte, doch ich entnahm
es sehr wohl der Gesamtheit dessen, was Herr Chrétien sagte -, daß er angesichts
der Gegenwart eines so mächtigen Nachbarn, mit dem er eine 8 644 km lange Grenze teilt, Furcht wegen der Zukunft seines Landes
verspührte. Im Bewußtsein der zwei starken Kulturen und tief verwurzelten
unterschiedlichen Traditionen beunruhigt ihn das Risiko für die Einheit seines
Staates durch jegliche Ambition, einen Fehler oder eine einfache Erschütterung
des Nachbarn, die das Land auflösen könnten. Für dieses enorme und reiche
Territorium, bewohnt von nur 32 Millionen Menschen, wo sich nebem anderen
Ressourcen - wie mir Chrétien selbst sagte – ein Viertel der weltweiten
Trinkwasserreserven befindet, stellen die Vereinigten Staaten – vielleicht noch mehr als für Kuba -, einen
starken Kopfschmerz dar.
Zu
dem vielleicht interessantesten Moment des Gesprächs, bei dem Chrétien seine
intelligenteste Idee vorstellte, die fähig war, selbst bei einem seiner
Ideologie ziemlich weit entfernten Gesprächspartner ein Gefühl der Solidarität
hervorzurufen, kam es, als er erzählte, daß er sich der Idee eines einzig mit
den USA geschlossenen Freihandelsabkommens widersetzt hatte. Man mußte
wenigstens einen Dritten finden, und es tauchte Mexiko auf, mit dem er bei
vielen Gelegenheiten Positionen im Gegensatz zu den Manövern der Vereinigten
Staaten teilte. Im Jahr 2005 seien es 34 Länder, und hoffentlich 35 (eine
offensichtliche Anspielung auf Kuba), um die Balance mit den
Bei
einer Gelegenheit sagte er mir, daß Kanada ein sehr über seine Unabhängigkeit
in Bezug auf die USA wachendes Land sei, daß es von großer Wichtigkeit sei, die
Unabhängigkeit von den Vereinigten Staaten zu bewahren, und daß seine Politik
darin bestünde, enge und freundschaftliche, aber sehr unabhängige Beziehungen
zu jenem Land beizubehalten. Er bekräftigte mir gegenüber stolz, daß Kanada
bereits mit dem
Das
zweite Treffen mit Chrétien und seiner Delegation findet am Abend
statt. Es gab ein Abendessen und einen noch
weitergehenden Meinungsaustausch. Als bei einer bestimmten Gelegenheit der von
der berühmt-berüchtigten Stiftung organisierte Attentatsplan gegen mich auf der
Isla de Margarita angesprochen wurde, sagte er mir, daß dies oftmals der Grund
für große Schwierigkeiten sei, denn der Zwischenfall mit den Flugzeugen hätte
der US-Regierung dieses Problem gebracht, die bereit gewesen sei, einen
positiven Schritt im Hinblick auf Kuba zu unternehmen. Ich erzählte ihm vom
Cuban Adjustment Act und seinen absurden und irrationalen Folgen.
Wir sprachen auch vom Helms-Burton-Gesetz. Er sagte mir, daß sich die
Im
Zusammenhang mit dem Zwischenfall der Flugzeuge im Jahr 1996, der als Vorwand zur Verabschiedung des Helms-Burton-Gesetzes
genommen wurde, sagte ich ihm, daß die nahezu komplette Geschichte des
Zwischenfalls in der Zeitung The New Yorker vom 26. Januar
1998 nachzulesen sei.
Als
er mich über die Freihandelszone auf dem amerikanischen Kontinent (ALCA)
befragte, sagte ich ihm, daß man Geduld haben und wissen müsse, was in
Lateinamerika mit diesem Freihandelsabkommen geschehen würde, welche die Folgen
nicht nur für unsere Länder seien, sondern auch für den Rest der Welt, sowie
die Kniffe, um eine multilaterale Investionsvereinbarung aufzuzwingen. Diese Fragen besorgten uns sehr. Es sei
notwendig, diese Fragen tiefgreifend zu untersuchen. Ich erzählte ihm
von konkreten Aspekten unserer Wirtschaft, von ergriffenen Maßnahmen, um der
Spezialperiode zu begegnen; der Unmöglichkeit des Verzichtes auf Zölle für
viele Länder Lateinamerikas und der Karibik, von denen einige auf diesem Weg
bis zu 80 % der Haushaltseinnahmen erzielten. Auf meine Frage, ob die
Integration Europas und das Auftauchen des Euros sein Land in irgendeiner Weise
schädige, antwortete er mir mit Nein, da 82 % des kanadischen Handels mit den
USA abgewickelt würde. Unser Handel mit den Vereinigten
Staaten hat einen täglichen Umfang von 1 Milliarde Dollar, sagte er uns.
Ich
teilte ihm meinerseits mit Offenheit meine Meinung mit, daß es für die Länder
Lateinamerikas von Nutzen sei, wenn die europäische Integration Erfolg hat und
Europa mit den USA in einen Wettbewerb tritt um die Märkte und Investitionen in
Lateinamerika. Es sei besser, wenn es zwei, drei, vier starke Wirtschaftsmächte
gebe, damit die Weltwirtschaft nicht allein von einem
Wir
sprachen sogar über die kanadische Technologie im Bereich der Atomenergie und
die zukünftigen Möglichkeiten für
Ich
erzählte ihm auch von den Mexikanern, die an der Grenze zu den Vereinigten
Staaten starben, wo pro Jahr bereits sehr viel mehr Menschen ums Leben kämen
als in den 30 Jahren des Bestehens der Berliner Mauer.
Nur wenige wichtige Themen wurden bei unserem
Meinungsaustausch nicht behandelt.
In
der angemessenen Atmosphäre, die entstanden war, und in Anbetracht der
Teilnahme Kanadas an den sich bereits normalisierenden politischen
Geschehnissen in Haiti und der kanadischen Präsenz in jenem Land sagte ich ihm,
daß Haiti ein naher Nachbar und eines der ärmsten Länder der Welt sei, mit
schrecklichen Kennziffern im Bereich des Gesundheitswesens, einschließlich
AIDS, was zur Gefahr einer menschlichen Katastrophe geführt habe, und ich
fragte ihn, warum wir kein Vorbild an Zusammenarbeit abgeben und ein
Gesundheitsprogramm für Haiti ausarbeiten sollten. Kuba würde medizinisches
Personal entsenden und Kanada die erforderlichen Medikamente und Geräte
liefern.
Er
fragte mich, ob ich dies mit dem Präsidenten Haitis besprochen hätte, worauf
ich antwortete, daß ich das Angebot nicht unterbreiten könne, ohne es vorher
mit der kanadischen Regierung zu koordinieren, wobei ich meiner Überzeugung
Ausdruck verlieh, daß sie es akzeptieren würden.
Er
sprach von seinem besonderen Interesse für ein französischsprachiges Land, denn
ein bedeutender Teil der kanadischen Bevölkerung spricht diese Sprache, und aus
diesem Grund habe er Interesse an Programmen für
Scheinbar kam ihm nach dieser Idee sofort eine andere. Er sagte mir unmittelbar darauf, daß er einen
Vorschlag über ein gemeinsames Programm zu unterbreiten habe: ein gemeinsames
Programm mit
Einige
Länder hätten sich zur Bereitstellung von Mitteln für die Säuberung der
Minenfelder verpflichtet, darunter Japan, Schweden, Norwegen, Dänemark und
andere, und da wir über Experten verfügten, dachte er, daß wir Kubaner diese
Arbeit verrichten könnten.
Es
ist unzweifelhaft, daß er nicht bemerkte, wie
verletzend das sein konnte, was er vorschlug. Es handelte sich um eine
humanitäre Zusammenarbeit, bei der Kanada und andere reiche Länder das
Geld und wir die Risiken von
Verstümmelung und Tod unserer Soldaten beisteuerten. Vielleicht hat er niemals
darüber nachgedacht, oder er war sich nicht dessen
bewußt, was er vorschlug, doch ich hatte den starken Eindruck, als ob sie uns als
Söldner anmieten wollten.
Für
einige Sekunden spürte ich ein Gefühl der Kränkung, wobei ich mich an den
selbstlosen Opfergeist und die saubere und noble Geschichte eines Volkes
erinnerte, das sich einem intensiven Wirtschaftskrieg und der Spezialperiode
entgegenstellte und dabei bereit war, für seine Ideen zu sterben. Hätte jemand
die Absicht, diese Situation auszunutzen, um uns zu Einsätzen dieser Art zu
verführen?
In
Anbetracht der Eigenschaften meines Gesprächspartners und des
feundschaftlichen, offenen, vertraulichen und sogar humorvollen Tons, mit dem
sich unsere Gespräche meiner Erinnerung nach entwickelten, glaube ich immer
noch, daß das, was er sagte und die Form, in der er es sagte, nicht dem
Bewußtsein dessen entsprach, was man objektiverweise aus seinen Worten
interpretieren konnte.
Ich
erklärte ihm, daß es in Angola immer noch schwierig sei, die Minen zu
beseitigen, denn dort seien die von den USA und Südafrika bewaffneten Banden,
daß alle diese Minen von den USA und dem Apartheid-Südafrika an Sawimbi
übergeben wurden. Dies könne Verstümmelungen und den Verlust
von Menschenleben zur Folge haben. Wie könnte man vor
unserem Volk eine kubanische Beteiligung rechtfertigen?
Mit
der größten Unparteilichkeit schlug ich ihm das vor, was ich als eine
vernünftige Lösung bezeichnete: wir wären bereit, das gesamte erforderliche
Personal Angolas, Mozambiks und aus jeglichem anderen von Problemen dieser Art
betroffenen Land auszubilden, damit sie diese Aufgabe in ihren eigenen Ländern
durchführen.
Dieses Thema nahm fast den ganzen letzten Teil des
zweiten Gesprächs in Anspruch, obgleich dieses noch einige Minuten im gleichen
freundschaftlichen und herzlichen Ton weiterging.
Der unangenehme Punkt war von unserer Seite in
gelassener und vernünftiger Form angesprochen und von der kanadischen
Delagation zur Kenntnis genommen und scheinbar verstanden und akzeptiert
worden.
Die
Grundlagen der zwei wichtigen Kooperationsprogramme mit dritten Ländern waren
im Prinzip vereinbart worden und man würde in der Folgezeit weiter daran
arbeiten.
Ich
beobachtete den Charakter und die Persönlichkeit des kanadischen
Premierministers genau. Er ist ein Mann mit angenehmer
Gesprächsart und gutem Humor, mit dem man einen interessanten Austausch über
verschiedene Themen beginnen kann. Er sorgt sich um bestimmte Probleme der
heutigen Welt und begeistert sich für Projekte seiner Präferenz, er kennt viele
politische Persönlichkeiten, weiß seine Erfahrung zu nutzen und genießt es, in
der Regel interessante und angebrachte Anekdoten zu erzählen. Er erschien mir als aufrichtig patriotisch. Es ist
sehr treu gegenüber
Ich
kannte Trudeau, ein außergewöhnlicher Staatsmann, von großer Bescheidenheit und
Einfachheit, mit tiefgehenden Gedanken und ein Mann des Friedens; ich bin
sicher, daß er die Welt und auch Kuba gut verstand.
Danach
gab es andere Aktivitäten. Ich nahm an einem Empfang
Chrétiens im Garten der kanadischen Botschaft teil. Er war fröhlich,
gesprächig und guter Laune. Bald würde er sich mit
Es
vergingen die Monate und es gab keinerlei Nachricht von dem Haiti-Projekt, das
für unsere Seite nur auf eine kurze Antwort wartete. Es kam der Hurrikan
Georges, der Santo Domingo verwüstete und das benachbarte Haiti hart traf, das
nur von den grenznahen 3 000 Meter hohen dominikanischen Bergen geschützt ist,
die als Windbrecher fungierten. Danach zog der Wirbelsturm
weiter nach Kuba.
Als
noch immer die letzten Windböen von Georges im Norden des Westteils des Landes
bliesen, in der regnerischen Nacht des 28. September, sagte
ich während einer Ansprache bei der Abschlußveranstaltung des 5.
Kongresses der Komitees zur Verteidigung der Revolution:
„
Ich frage die internationale Gemeinschaft:
[...]
Wir wissen, wie man pro Jahr 25 000 Menschenleben in
[...]
Ausgehend
von der Prämisse, daß die Regierung und das Volk Haitis mit Vergnügen eine
wichtige und vitale Hilfe in diesem Bereich akzeptieren, schlagen wir vor, daß
in dem Fall, wenn ein Land wie Kanada, das enge Beziehungen zu Haiti unterhält,
oder ein Land wie Frankreich, das enge historische und kulturelle Beziehungen
zu Haiti hat, oder die Länder der Europäischen Union, die eine Integration
vornehmen und bereits den Euro haben, oder Japan die Medikamente zur Verfügung
stellt, wir bereit sind, die Ärzte für dieses Programm zu schicken, alle Ärzte,
die benötigt werden, wenn man auch einen kompletten Absolventenjahrgang oder
etwas Entsprechendes schicken muß.
November
1998. Es sind sieben Monate vergangen und es gibt
keine Nachricht von Chrétien hinsichtlich der behandelten Themen. Der kanadische Gesundheitsminister Alan Rock besucht Kuba.
Ich treffe
Ich erkläre ihm detailliert das gemeinsame
Kooperationsprogramm, das wir vorschlugen. Ich nahm in ihm einen sensiblen und fähigen Mann wahr, der die
Möglichkeiten und Bedeutung solcher Programme begriff. Ich bat ihn, die
Betreibungen im Zusammenhang mit dem Kooperationsprogramm in
Am 4. Dezember schickt Kuba auf eigene Rechnung eine erste
Notfall-Brigade zur Betreuung der Opfer des Hurrikans Georges. In den
folgenden Wochen kamen weitere medizinische Brigaden in Haiti an, bis man die
Zahl 12 erreichte, mit einer Gesamtzahl von 388 kubanischen Helfern, und immer
noch hatten unsere kanadischen Freunde kein Lebenszeichen gegeben. Das medizinische
Programm, das wir als Gemeinschaftsprojekt mit Kanada vorgeschlagen hatten,
wurde durch die Anstrengung Kubas, der Regierung Haitis und die Unterstützung
von Nichtregierungsorganisationen in Gang gesetzt.
Ende
Februar gibt das kubanische Außenministerium bekannt, auf inoffiziellem Weg
erfahren zu haben, daß die Regierung Kanadas 300 000 Dollar für das
medizinische Programm in
Am 4.
März waren mehr als zehn Monate ohne offizielle
Antwort Kanadas vergangen. An diesem Tag erreichte uns
trotzdem eine wahrhaft überraschende Nachricht. Der kanadische Außenminister,
Herr Lloyd Axworthy, schickte dem kubanischen Außenminister Roberto Robaina
einen Brief, in dem unter anderem mitgeteilt wird:
„
[...] ich wurde informiert über ein kürzlich von der kubanischen
Nationalversammlung am 16. Februar 1999 verabschiedetes
Gesetz mit dem Titel «Gesetz zum Schutz der Nationalen Unabhängigkeit und der
Wirtschaft Kubas», das darauf zielt, dem Anstieg der Kriminalität und der
subversiven Aktivitäten zu begegnen.
[...]
Ich
habe meine Beamten gebeten, eine Analyse der kürzlich von Kuba ergriffenen
Maßnahmen vorzubereiten, einschließlich der kommenden Verurteilung der
Mitglieder der Arbeitsgruppe der Internen Dissidenten, mit Blick auf die
Bestimmung von dessen Auswirkung auf eine Reihe von Aktivitäten, die wir im
Einklang mit der bilateralen gemeinsamen Erklärung unternommen haben. Bis zum Abschluß dieser Bewertung habe ich meine Beamten
gebeten, von neuen gemeinsamen Initiativen Abstand zu nehmen. Ich werde meinen
Kabinettskollegen schreiben, damit sie sich über die Situation informieren, um
in ihren eigenen bilateralen Kooperationsprogrammen mit Kuba Überlegungen
anzustellen. Mit sofortiger Wirkung habe ich die gemeinsame Analyse von Seiten
meines Ministeriums, der CIDA (Canadian International Development Agency) und
von Health Canada bezüglich der Bitte Kubas zur Ingangsetzung der medizinischen
Zusammenarbeit mit einem Drittland in Haiti gestoppt.
[...]
Die
kommenden Tage werden für die Analyse wichtig sein, ob Kuba die Annäherungs-
und Integrationspolitik gegenüber der internationalen Staatengemeinschaft wählt
oder sich weiter in der unsicheren Richtung der vergangenen Tage bewegt. Ich hoffe,
Sie sind fähig, ein Signal auszusenden, das zur
Klärung der kubanischen Absichten beiträgt. Im Besonderen wäre ein solches
Signal von großer Nützlichkeit, um sicherzustellen, daß die kürzlichen
Ereignisse nicht zu einer unbegründeten Besorgnis in der
Menschenrechtskommission in Genf werden.“
Zufall?
Ein Vorwand zur Rechtfertigung von starkem Druck ihrer
südlichen Nachbarn? Totale Gefühllosigkeit angesichts
der haitianischen Tragödie? Ich möchte hier keinerlei
Behauptung aufstellen. Doch wie erklärt sich, daß zehn Monate vergingen
und während dieser Zeit – als die angeführten Geschehnisse, die zu einer solch
drastischen Entscheidung und einem so ungewöhnlichen Brief führten, noch gar
nicht stattgefunden hatten -, keinerlei offizielle Antwort gegeben wurde?
Auch
wenn ich niemanden beleidigen möchte, nicht einmal den illustren Autor des
Briefes, ist es unmöglich, nicht auf den arroganten, anmaßenden, einmischenden
und rachsüchtigen Ton hinzuweisen, mit dem dieser Brief abgefaßt wurde.
Was
mich persönlich am meisten verbitterte, waren nicht die Bestrafungsmaßnahmen
und Drohungen gegen Kuba – an diese Strafen sind wir bereits seit 42 Jahren
gewöhnt -, sondern die Tatsache, daß die 300 000 Dollar, von denen ich nicht
einmal weiß, ob es US-amerikanische oder kanadische Dollar waren – 0,64 US-Cent
zum Kurs vom 24. April 2001, da ich keine Zeit gehabt habe, nachzuprüfen,
wieviel dies am 15. April jenes Jahres ausmachte -, niemals die haitianischen
Kranken erreichen würden. Ich konnte nicht einsehen, daß man uns bestraft auf
Kosten des Lebens von vielleicht Tausenden von haitianischen Kindern, die man
hätte retten können, da in diesem Land zu jenem Zeitpunkt nicht weniger als 25
000 Kinder pro Jahr starben. Den Großteil dieser Todesfälle könnte man mit
einfachen Impfungen verhindern, die mit jenen Dollars erworben werden könnten,
seien sie US-Dollar oder Kanadische Dollar. Zweifellos beging
jemand einen schweren Fehler.
Als
etwas elementar Logisches hatte ich die inoffizielle Information geglaubt, die
mir vom Außenministerium mitgeteilt wurde. Man kann zu diesem Zeitpunkt nicht
einmal mehr behaupten, ob sie zutreffend war oder
nicht.
Es gibt nichts mehr zu bedauern. In
In
diesem Jahr begann mit der Übergabe aller Impfstoffe von Seiten Japans, mit
Beteiligung von UNICEF, die erste Phase der massenhaften Impfkampagne gegen
acht immunvermeidbare Krankheiten, wobei Kuba die Durchführung des Programms
mit dem sich im Land befindlichen medizinischen Personal übernimmt, dessen Zahl
sich im laufenden Jahr auf 600 beläuft. Wir wissen zudem, daß in der Zukunft
mit der kombinierten Anstrengung Frankreichs, Japans, Kubas und
Ich
denke, daß mit dem Sieg Südafrikas und Brasiliens gegen die unerschwinglichen
Preise der AIDS-Medikamente der Tag nicht weit ist, an dem die Haitianer
mittels der Unterstützung von kooperationswilligen Regierungen mit finanziellen
Mitteln, der Institutionen der Vereinten Nationen und NGO´s auch gegen diese
schreckliche Geißel geschützt sein werden.
Niemand
kann mehr die Zusammenarbeit Kubas mit anderen Ländern der Dritten Welt
sabotieren. Taten und nicht Worte. Schnelles Handeln
und nicht Warten auf den Nimmermehrstag, wenn es Menschen aus
armen Ländern gibt, die täglich und stündlich sterben.
Heute
bin ich für die Gespräche mit Chrétien dankbar. Sie dienten zum Beweis, daß die
Initiativen möglich sind und ebenfalls die gemeinsamen
Kooperationsprojekte mit zwei, drei oder vielen Ländern. Sie beweisen
ebenfalls, daß die Stunden, die sowohl er als auch ich investierten, nicht
unnütz waren, und ich folgte seinen Ratschlägen, indem ich mit noch größerem
Eifer für die Menschenrechte und die Rettung von Menschenleben arbeitete, und
für die Entschärfung von gigantischen Anti-Personen-Minen, die unsere Erde an
den Rand von gewaltigen Explosionen bringen.
Kleine
Beispiele für das, was jegliches
Ich
bin sicher, daß Trudeau niemals gesagt hätte, daß er vier Stunden damit
verbracht habe, jemandem Ratschläge zu geben, der nicht darum gebeten habe, oder daß er Rechtfertigungen gesucht hätte, um ein
Die
Geschichte wird bestimmen, wer im Recht ist (Beifall)