Am 5. März erklärte der Generalsekretär der NATO, Javier Solana, daß die Anwesenheit der Truppen der Allianz im Kosovo notwendig sei, damit das politische Abkommen über diese jugoslawische Provinz "nicht zu einem dead letter wird".
Am 14. März erklärte er, daß die Wiederaufnahme der Pariser Friedensgespräche über Kosovo "die letzte Gelegenheit" sei für die Serben, falls sie die Luftangriffe der NATO vermeiden wollten.
Am 16. März erklärt er, daß "wir uns in einem sehr kritischen Moment befinden" und die Verhandlungen sich "sehr schwierig" entwickeln würden. Er warnt davor, daß "die NATO das tun wird, was sie tun muß, falls die Lage sich nicht in die richtige Richtung entwickelt", und er fügt hinzu, daß "die (Pariser) Gespräche nicht unendlich lang dauern werden".
Am 18. März erklärte das US-Verteidigungsministerium, daß die NATO-Flugzeuge und die mit Tomahawk-Cruise Missiles ausgestattenen Kriegsschiffe "auf ihren Posten und bereit" seien, um serbische Positionen anzugreifen, wenn eine solche Entscheidung getroffen würde.
Der Pentagonssprecher Kenneth Bacon sagte, daß "diese Kräfte auf ihren Posten und bereit sind", in Aktion zu treten, und fügte hinzu: "Es handelt sich um eine wichtige Streitmacht, die, wenn sie den Einsatzbefehl von seiten des NATO-Generalsekretärs (Javier Solana) bekäme, sehr schnell handeln könnte".
Am 22. März sagte der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Kofi Annan, über die Lage in Kosovo: "Nie ist es zu spät, um die Streitigkeiten oder Konflikte auf dem diplomatischen Weg zu lösen".
Nach so vielen und so eindeutigen und gar nicht diplomatischen Ultimaten erklärte der NATO-Generalsekretär am 23. März: "Die letzte diplomatische Bemühung ist gescheitert." Und er fügte hinzu: "Es bleibt keine andere Alternative als der Militäreinsatz".
Am selben Tag kündigte er öffentlich und mit einem für einen europäischen Ex-Kulturminister, einziger Präzedenzfall seiner Erfahrung in Kriegsfragen, ungewöhnlich kriegerischen Ton folgendes an: "Ich habe gerade dem Oberkommandierenden der Alliierten Streitkräfte in Europa, dem amerikanischen General Wesley Clark, den Befehl gegeben, mit den Luftangriffen in der Bundesrepublik Jugoslawien zu beginnen."
Seit diesem Befehl ihres Generalsekretärs haben die NATO-Angriffe keinen einzigen Tag aufgehört. Am diesen ersten Abend beteiligten sich 371 Flugzeuge, die von Landstützpunkten abflogen. Von der Adria aus schossen die Kriegsschiffe die Cruise Missiles ab. Sofort darauf kommt es zu wichtigen und schmerzhaften Ereignissen, die über 70 Tage hinweg bis zum heutigen Datum anhalten.
Wir werden uns darauf beschränken, auf eine Reihe von unverzichtbaren Geschehnissen hinzuweisen, um darzulegen, wie und gegen wen dieser Krieg geführt wird und welche die Gefahren sind, die er mitbringen kann.
25. März
Der Präsident Boris Yeltsin bezeichnet die Militäraktionen
als offenen Angriff und ruft seinen Militärgesandten bei der NATO
zurück. Rußland beendet die Zusammenarbeit mit dieser Organisation.
Solana erklärt: "Die Operation wird noch mehrere Tage dauern".
26. März
6 Kriegsschiffe und 400 Flugzeuge werfen Cruise Missiles und Bomben
über Jugoslawien ab.
29. März
Fünf Tage nach dem Beginn der Bombardierungen haben 15,000 Kosovo-Albaner
die Grenzen überschritten. Der massive Exodus hatte begonnen.
2. April
NATO-Flugzeuge zerstören in Novi Sad eine Brücke über
die Donau, wodurch die Hauptfrachtroute zum Schwarzen Meer blockiert wird.
7. April
Die Hauptstadt Belgrad wird zum ersten Mal angegriffen. Die Innenministerien
von Serbien und Jugoslawien werden zerstört, die Wohnungen und deren
gesamte Umgebung schwer beschädigt und die Notaufnahme eines Geburtshilfekrankenhauses,
in dem an diesem Tag 74 Kinder geboren wurden, erleidet die Folgen eines
direkten Einschlags und bleibt außer Dienst.
Die Organisation der Vereinten Nationen schätzt, daß 310,885 Flüchtlinge und Vertriebene über die Grenzen von Albanien, Mazedonien, Montenegro, Kroatien, Bosnien und der Türkei gekommen sind. Der massive Exodus war schon im vollen Gang.
In ganz Jugoslawien werden Brennstofflager, Straßen und Brücken angegriffen. Eine Rakete trifft direkt das Dorf Aleksinac und verursacht Dutzende von toten und verletzten Zivilisten.
Zu diesem Zeitpunkt sind bereits 190 Gebäude zerstört worden, die der Bildung dienen, wobei die Mehrheit von ihnen Grund- und Mittelschulen waren. Ebenso traf es Universitäten und Studentenheime sowie die Naturparks Fruška Gora, Kopaonik und Tara.
10. April
Die UNO gibt bekannt, daß seit dem Beginn der NATO-Agriffe über
600,000 Menschen den Kosovo verlassen haben.
11. April
Die Vereinigten Staaten schicken 82 Flugzeuge nach Europa, um die Anzahl
ihrer Kampfjets auf fast 500 zu erhöhen und damit die Zunahme von
Angriffen zu garantieren.
12. April
Ein Zug mit zivilen Passagieren, der über eine Brücke im
Süden Belgrads fuhr, wurde von 2 Raketen getroffen, was den Tod von
55 Personen und Dutzende von Verletzten zur Folge hatte.
Solana wiederholt, daß die NATO die Organisation sei, welche die militärische Präsenz im Kosovo anführen müsse, wenn die Situation dies erlaube. Er erklärt, daß die "militärischen Aktionen der NATO" gegen serbische Ziele "fortgesetzt werden, bis Milosevic die Forderungen der internationalen Staatengemeinschaft erfüllt". Für Solana ist es offensichlich, daß die internationale Staatengemeinschaft und die NATO ein und die selbe Sache sind.
13. April
Die NATO ordnet den Beginn der Phase 2 an. Die Intensivierung der Bombenangriffe
und die Anzahl und die Bandbreite der zu zerstörenden Ziele wird gesteigert.
14. April
Ein Konvoi mit albanischen Flüchtlingen im Kosovo wurde zum Ziel
eines Luftangriffs, wobei 85 von ihnen starben, ganz zu schweigen von den
Verletzten. In Serbien werden zwei Raffinerien und ein Belgrader Wohnviertel
zerstört. 300 zusätzliche Flugzeuge werden den NATO-Kräften
hinzugefügt.
Solana versichert, daß " die NATO auf einen langen Krieg vorbereitet ist".
15. April
Bis zu diesem Zeitpunkt sind ein Dutzend Fernsehstationen zerstört
worden.
16. April
Die Bombenangriffe auf Fernsehstationen und Brücken werden verstärkt.
Die NATO gibt zu, 48 Stunden zuvor im Süden Kosovos ein ziviles Fahrzeug
bombardiert zu haben. Es kommt zum heftigsten Angriff seit 2 Wochen.
17. April
Die jugoslawischen Behörden geben bekannt, daß bereits 500
Zivilisten getötet und 4,000 verletzt wurden.
Die Vereinten Nationen schätzen, daß der Exodus der Kosovo-Albaner bereits die Zahl von 671000 erreicht hat.
Zwischen dem Samstagnachmittag des 17. April und dem Morgen des 18. April führen NATO-Kampfflugzeuge 500 Angriffe durch, wobei Raffinerien, Brücken, Fabriken und Dutzende von anderen zivilen Zielen bombardiert werden. Diese Angriffe werden von der NATO selbst als die 24 aktivsten Stunden des Krieges bezeichnet.
18. April
In Belgrad und Novi Sad werden Erdölraffinerien und Chemiefabriken
angegriffen und zerstört. Die Straße, die Belgrad mit Podgorica,
der Hauptstadt Montenegros, verbindet, wird unbefahrbar gemacht.
Es wird bekannt, daß die Angreifer zwei Tage zuvor begonnen hatten, die als "seismische Bomben" bekannten GBU-27-Bomben einzusetzen, die in befestigten Beton eindringen und ein starkes Beben produzieren, das dazu führt, daß das Gebäude einstürzt und weitere in seiner Umgebung beschädigt werden.
19. April
Zivile Gebäude in Belgrad und Novi Sad und die Dörfer Paracin,
Kraligevo und Sremska Mitrovica werden attackiert. Die NATO gibt zu, daß
dies auf eigene Fehler zurückzuführen sein könnte.
21. April
Die NATO greift die Privatresidenz des Präsidenten von Jugoslawien,
den Sitz der Sozialistischen Partei, drei Fernsehstationen und 20 Unternehmen
des Geschäftszentrums Usche an.
22. April
Zwei NATO-Raketen zerstören in Novi Sad die letzte Brücke
über die Donau, womit der Straßen- und Eisenbahnverkehr unterbrochen
ist, sowie 8 Sendestationen.
In diesem Moment wird bekannt, daß die Krankenhäuser nur noch Notfälle betreuen können und daß Dutzende von Kindern und Jugendlichen zwischen 2 und 19 Jahren sich am Rande des Todes befinden, weil die Mittel fehlen, um die Dialyse durchzuführen.
Solana erklärt, daß er den Militärbefehlshabern die Genehmigung zum Überarbeiten ihrer Pläne erteilt hat, um darin eine mögliche Intervention mit Bodentruppen einzubauen.
23. April
Die Zentrale des serbischen Fernsehens im Zentrum Belgrads wurde total
zerstört. Bei dem Angriff starben 16 Menschen und weitere 19 wurden
verletzt, unter ihnen zahlreiche Journalisten. 20 weitere Personen sind
unter den Trümmern eingeschlossen.
Die NATO gibt bekannt, daß die Angriffe auf die Kommunikationsverbindungen, das Radio und das Fernsehen gerichtet waren.
Auf diese unheilvolle Art und Weise feiert die NATO am 23. und 24. April in Washington mit ausschweifendem Luxus und in festlicher Stimmung den 50. Jahrestag ihrer Gründung und verkündet euphorisch ein neues strategisches Konzept: Ihre Absicht, auf eigene Faust und im Rücken der Vereinten Nationen und des Völkerrechts überall dort auf der Welt zu Invasoren zu werden, wo ihnen dies angebracht erscheint.
An diesem Tag erklärt der "illustre" Generalsekretär der NATO, Javier Solana, daß das Dokument eine "Charta ist, die uns helfen wird, die Herausforderungen zu bewältigen, die uns im nächsten Jahrhundert erwarten."
"Ebenso markiert sie den Übergang von einer Allianz, die sich in erster Linie um die kollektive Verteidigung sorgt, zu einer, die die Garantie für die Sicherheit in Europa darstellt und die demokratischen Werte sowohl innehalb als auch außerhalb unserer Grenzen verteidigt."
Indem sie diese "demokratischen Werte" verteidigt, intensiviert die NATO ihre Angriffe auf zivile Einrichtungen zwischen dem 24. und 30. April noch weiter. Tag für Tag nehmen die Einsätze der Kampfbomber zu, bis sie am 30. April die Zahl von 600 erreichen. Vorher waren zwischen dem 26. und 29. April die Zentrale des serbischen Fernsehens (zum zweiten Mal) und eine Fabrik in Lucani angegriffen worden. Man zerstört eine weitere Fernsehstation in der Hauptstadt, ein Bauerndorf in Südserbien, wobei 16 Personen umkommen, und ein Wohnviertel in Surdulica, wo nicht weniger als 20 Menschen ihr Leben verlieren, um nur einige Fälle zu zitieren, die absolut nichts mit militärischen Objekten zu tun haben.
Die Gewässer der Donau sind bereits mit einem 15 km langen Ölteppich verschmutzt und auf dem Balkan beginnt saurer Regen zu fallen.
1. Mai
47 Zivilisten sterben im Norden von Pristina, als der Bus, in dem sie
reisten, von zwei Raketen getroffen wird. Ein Korrespondent von AFP, der
den Ort nach dem Angriff besuchte, sagte, daß er die zerfetzten Leichen
von Kindern, Frauen und Männern gesehen habe, die von den Bombeneinschlägen
verbrannt und verstümmelt waren. Dies war ein weiterer von der NATO
eingestandener "Fehler" aus der Reihe derer, die regelmäßig
vorkommen. Gleichzeitig kündigt die NATO einen neuen Rekord seit Beginn
der Bombardierungen in bezug auf die Intensität der Attacken an.
2. Mai
Die Angreifer beginnen damit, neuartige Graphitbomben einzusetzen,
die die Stromnetze von Jugoslawien mittels eines Kurzschlusses ausschalten.
3. Mai
Die Luftwaffe der NATO erreichte bereits die Zahl von 14,000 durchgeführten
Kampfeinsätzen, einschließlich der Beobachtungsflüge und
anderer Ziele zur Unterstützung der Luftschläge. Das wichtigste
Wasserkraftwerk wird angegriffen, was Belgrad und andere Teile Serbiens
vom Strom abschneidet. In Montenegro wird ein weiterer Bus bombardiert,
was den Tod von 17 Personen und 40 Verletzte zur Folge hat.
Ein Krankenhaus in einem Wohnviertel der Stadt Baljevo wird von 4 Raketen getroffen, was zu erheblichen Schäden in drei Operationssälen und dem restlichen Gebäude führt.
4. Mai
Die Nachrichtenagentur EFE versichert aus Novi Sad, daß die 400000
Einwohner dieser Stadt ohne Brücken und fast ohne Strom, Wasser und
sogar Brot überleben. Am selben Tag wird ein zur Hilfe für die
Kosovo-Flüchtlinge bestimmter griechischer Konvoi der Organisation
Ärzte der Welt zwischen Pristina und Vlac von einer Rakete getroffen.
Der für den Konvoi zuständige Hirnchirurg erklärt dem griechischen
Fernsehen: "Die Flugzeuge der Allierten haben uns willkürlich angegriffen.
Sie wußten, wo wir waren, und bombadierten uns. Es gab sonst nichts
in der Umgebung. Wir waren ihr Ziel." Das griechische Hauptquartier erklärt,
daß die NATO über den Konvoi informiert worden war.
6. Mai
Solana wiederholt mit obsessiver Hartnäckigkeit die Notwendigkeit,
daß es eine militärische Truppe gebe und daß die NATO
"ihren Kern bilde."
7. Mai
Die chinesische Botschaft, die sich in einem Belgrader Wohnviertel
befindet, wird von Flugzeugen der NATO bombardiert. Es sterben drei Journalisten
und mindestens 20 Personen werden verletzt. Dies war ein schwerwiegender
Vorfall ohne irgendeine glaubwürdige Erklärung, der die Krise
verschärfte. Achtzehn diplomatische Vertretungen werden in den folgenden
Tagen von den intelligenten Bomben der NATO beschädigt.
8. Mai
Streubomben treffen einen Krankenhauskomplex und den wichtigsten Markt
in der Stadt Nis, der drittgrößten Jugoslawiens, wobei 15 Menschen
getötet und 70 verletzt werden. Man beginnt mit der Verwendung einer
todbringenden Auswahl von besonders grausamen und international verbotenen
Bomben.
13. Mai
Bomben der NATO töten in dem Dorf Korisa 87 kosovo-albanische
Zivilisten, während Solana behauptet, daß sich die Krise im
Kosovo "ihrem Ende nähert", obwohl "man die ganze Hartnäckigkeit
beibehalten muß".
Ein Reporter der Nachrichtenagentur REUTERS, der am Ort des Geschehens eintraf, beschrieb die auf dem Boden verstreuten und zerfetzten Körper, von denen viele verbrannt waren und noch immer rauchten. Ein EFE-Korrespondent berichtete, daß die Verletzten fast alle unter dem Blast-Syndrom (schwere Verbrennungen und Brüche von Knochen und Wirbelsäule) eingeordnet worden sind.
14. Mai
Ein neuer Rekord der NATO: Es werden 679 Kampfeinsätze gemeldet.
Die über den serbischen Stromnetzen abgeworfenen Graphitbomben lassen
Belgrad, Nis und Novi Sad ohne Elektrizität. Am selben Tag wird bekanntgegeben,
daß die zivilen Verluste auf 1200 Tote und mehr als 5000 Verletzte
angestiegen sind.
Die UNO errechnet die Zahl von 781,000 Flüchtlingen seit dem Beginn der Bombenangriffen.
16. Mai
Der Bombenfeldzug der NATO gegen Jugoslawien wird fortgesetzt, bis
die Ziele erreicht werden, erklärte Solana.
Solana rechtfertigte die Handlungen der NATO als "eine moralische Kampagne".
18. Mai
Die jugoslawischen Behörden klagen die NATO außerdem wegen
der Nutzung von Streubomben und von Geschossen aus nicht angereichertem
Uran, die beide auf internationaler Ebene wegen ihrer radioaktiven Wirkungen
verboten sind.
Neben der erhöhten Anzahl der zivilen Verlusten stiegen die ökonomischen Verluste auf 100 Milliarden Dollar.
19. Mai
Die saure Regen erreicht Rumänien.
20. Mai
Während des heftigsten Angriffs der NATO gegen Belgrad seit zwei
Wochen wurde ein weiteres Krankenhaus schwer beschädigt. Drei Neurologiepatienten
starben und einige schwangeren Frauen wurden in der Mutter-Kind-Station
verletzt.
Die Botschaften von Schweden, Spanien, der Schweiz, Angola, Peru und Kuba wurden beschädigt.
21. Mai
Das Istokgefägnis im Kosovo wird bombardiert. 84 Gefangenen sterben.
23. Mai
Die Zahl der verwendeten Bomben erreicht 14,000, wovon 10,000 Raketen
und intelligente Bomben waren. Bei 25,000 Gefechtsflügen wurden über
2,000 Ziele angegriffen, darunter Hunderte der wichtigsten Zivilobjekte,
die die Grundstruktur der Wirtschaft und des Lebens des jugoslawischen
Volkes darstellen.
24. Mai
Die Luftangriffe lassen 70 % Serbiens ohne Elektrizität. Die Wasserreserve
sinkt auf nur 8 % und 30 % der Bevölkerung von Belgrad bleiben ohne
Wasserversorgung.
Die NATO gibt an, daß sie die Mehrheit der Straßen im Kosovo und die wichtigsten Bahnverbindungen über die Donau zerstört hat.
25. Mai
Solana bestätigt, daß die Angriffe der alliierten Flugzeuge
gegen die serbischen Kraftwerke der Tatsache geschuldet sind, daß
diese "einen sehr deutlichen militärischen Inhalt haben".
26. Mai
Aus Jugoslawien wird berichtet, daß die Sterblichkeit der Frühgeborenen
um 8 % angestiegen ist und daß wegen des Stromausfalls einhundert
Krebspatienten auf eine dringende Operation warten, 200 auf eine Magnetresonanz,
500 auf eine Tomographie, 600 auf eine Radiotherapie, 12,000 auf eine Röntgenuntersuchung
und 30,000 auf Laboranalysen.
Die serbische Gesundheitsministerin teilte andererseits mit, daß bei fortgesetztem Mangel an elektrischem Strom und Wasser im Land das Leben von 9,500 Personen, die in Intensivstationen behandelt werden, in unmittelbare Gefahr gerät.
783 Flugzeuge aus den USA und 281 der NATO waren bereits an den Angriffen beteiligt.
Bis zu diesem Moment wurden 27,110 Einsätze durchgeführt.
27. Mai
Es wurde ein neuer Rekord aufgestellt: 792 Kampfeinsätze an einem
Tag.
30. Mai
Flugzeuge der NATO zerstören die 150 km südlich von Belgrad
gelegene Brücke von Varvari. Dabei starben 11 Zivilisten und mehr
als 10 wurden verletzt. In Moment des Angriffs befand sich eine große
Anzahl von Zivilisten auf der Brücke.
Am selben Tag wurden in Serdulica eine Heilanstalt, ein Altenheim und eine Flüchtlingsunterkunft angegriffen: 20 Toten wurden bereits berichtet und man suchte weiter nach Opfern unter den Trümmern.
Schon zu diesem Zeitpunkt war die Anzahl der Kampfeinsätze seit ihrem Beginn am 24. März auf 29,979 angestiegen.
Tausende von unschuldigen Bürgern sind gestorben oder wurden verletzt. Millionen von Personen leben heute ohne Elektrizität, Kommunikationsverbindungen und Wasser. Medikamente und Lebensmittel sind knapp. Die Krankenhäuser können die Behandlung und das Leben von Zehntausenden von Menschen nicht gewährleisten, weil ihre Geräte und Computersysteme nicht arbeiten. Brücken, Wohnungen, Kirchen und Botschaften wurden zerstört oder beschädigt.
Ein ganzes Volk, einschließlich der Alten, schwangeren Frauen und Kinder, lebt heute unter dem Terror der Bomben, wobei sie in jedem Moment auf den Klang der Sirene achten, um mit einem kleinen Kind in den Armen oder einem Invaliden zu Hilfe kommend zu den Bunkern laufen.
Millionen von Kindern werden die Hölle dieser 70 Kriegstage niemals mehr aus ihren Erinnerungen löschen können. Sie werden für das ganze Leben traumatisiert bleiben.
Die Opfer sind Menschen verschiedener Nationalitäten und Glaubensrichtungen.
Das Drama des Volkes des Kosovo hat sich durch die Auswirkung dieses unverantwortlichen, einseitigen und abenteuerlichen Krieges bis ins Unendliche vervielfacht. Über 90% der Kosovo-Flüchtlinge, die gezwungen gewesen sind, ihr Land zu verlassen, haben dies nach dem 24. März getan. Wenn sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können, werden sie ihre Wohnungen und Besitztümer zerstört und in Ruinen vorfinden und überall Trostlosigkeit antreffen.
Die Zerstörung von Raffinerien und Chemieanlagen, ebenso wie die Anwendung von nicht angereichtertem Uran, das in vielen der von den Angreifern benutzten Projektile beinhaltet ist, haben bereits ökologische Schäden von uneinschätzbarem Ausmaß verursacht.
Die Luft auf dem Balkan wird durch Ammoniak und Schwefeldioxid vergiftet; der Boden füllt sich mehr und mehr mit toten Menschen, Pflanzen und Tieren; die Donau und die Fluß- und Meeresgewässer werden mit giftigen Produkten überschwemmt.
Dieser Krieg wird durch Verschwendung und Prahlerei mit Technologie charakterisiert.
Jugoslawien wird zum Versuchsgelände. Flugzeuge, die in den USA starten, lassen ihre tödliche Ladung auf das serbische Volk fallen und fliegen ohne Zwischenlandung zu ihren Stützpunkten zurück, wobei sie in der Luft aufgetankt werden. Raketen werden aus weiter Entfernung außerhalb der Reichweite der Flakgeschütze abgefeuert. Unbemannte Flugzeuge bombardieren mit Patienten besetzte Krankenhäuser, bewohnte Häuser, Brücken mit Passanten und Omnibusse mit Passagieren.
Im dritten Monat eines blutigen Krieges gegen das Leben, das Werk und die Kultur eines Volkes hat man sich dafür entschieden, die Bombardements zu verschärfen, anstatt zu einer politischen Verhandlungslösung voranzuschreiten, die dem Balkan die Stabilität zurückgibt. Und Javier Solana, der aufgrund seiner selbstgefälligen Prophezeiung eines Sieges in drei oder vier Tagen aus der Fassung gebracht wurde, vertritt sogar die Idee einer Invasion durch Bodentruppen, was die Gefahr in sich birgt, den Konflikt weit über den gegenwärtigen jugoslawischen Grenzen hinaus auszuweiten und sich in einem blutigen Krieg mit einem Volk auseinanderzusetzen, das während des Zweiten Weltkrieges in der Lage gewesen war, dem Ansturm von vierzig Nazidivisionen zu widerstehen.
Die dritte Phase des Programms von Luftangriffen hat schon begonnen.
Nachdem Tausende von Zivilisten umgebracht, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebensgüter eines Landes zerstört und die Umwelt verschmutzt wurde, erschreckt man, wenn man daran denkt, daß der ausgearbeitete Plan noch größere Zerstörungen und Verbrechen vorsieht.
Im gegenwärtigen und zukünftigen Leben des jugoslawischen Volkes werden Traumata und psychologische und geistige Verletzungen zurückbleiben, die keine Statistik zum Ausdruck bringen kann.
Europa wird durch dieses Verbrechen gegen die Menschheit, dessen Komplize und Opfer es gewesen ist, für immer gebrandmarkt bleiben.
Nicht einmal die Angriffe von Hitlers Luftwaffe gegen polnische Weiler, Dörfer und Städte in den ersten Wochen des Zweiten Weltkriegs waren so brutal und willkürlich wie diejenigen, die die NATO gegen das derzeitige Jugoslawien durchführt. Auf diese Weise erreicht man niemals eine gerechte und dauerhafte Lösung für die Rechte aller Nationalitäten, Ethnien, Religionen und Kulturen in dem, was von dem von Tito geschaffenen Jugoslawien übriggeblieben ist, das trotz aller ethnischen, kulturellen und religiösen Differenzen und Jahrhunderte währendem Groll fähig war, mehr als 40 Jahre lang in Frieden zu leben, nachdem am 9. Mai 1945 der kolossale Krieg in Europa zu Ende gegangen war.
Die kubanische Regierung verurteilt mit aller Energie das monströse Verbrechen gegen das serbische Volk, während sie gleichzeitig das Recht der Kosovo-Albaner auf die volle Garantie ihrer nationalen, kulturellen und religiösen Identität und den Genuß der weitgehensten Autonomie unterstützt, wobei dies sogar die Unabhängigkeit einschließen kann, wenn eines Tages die jugoslawischen Bürger sowohl serbischer als auch albanischer Herkunft nach dem Erreichen des Friedens durch eine gerechte und friedliche politische Lösung innerhalb des gegenwärtigen Jugoslawiens diese Entscheidung fällen, die niemals durch einen grausamen und gnadenlosen Krieg aufgezwungen werden kann, der nur dazu dient, den entfesselten Haß über Hunderte von Jahren hinweg zu vervielfältigen.
Sie verweist auf den schwerwiegenden Präzedenzfall einer Ignorierung und Nichtbefolgung der Prinzipien des Völkerrechts wie die Gleichbehandlung souveräner Staaten und die territoriale Integrität eines multinationalen Staates, der zum großen Teil zerstückelt wurde.
Sie beobachtet mit Empörung, daß die UNO im politischen Sinne bombardiert und der UN-Sicherheitsrat vollkommen ignoriert wird. Die elementarsten Normen der Zivilisation und des menschlichen Zusammenlebens sind nicht beachtet worden. Es ist so, als ob der internationalen Staatengemeinschaft das Gesetz des Dschungels aufgezwungen würde.
Sie erkennt den bewundernswerten und heldenhaften Widerstand des serbischen Volkes und seine Kampffähigkeit an, die sich auf der Verteidigung seiner Identität als Nation und auf seinen patriotischen Traditionen gründet.
Sie bestätigt ihre der humanitären Vereinigung "Comunidad de San Egidio" am 5. April, also nur 12 Tage nach Beginn der Luftangriffe und des Massenexodus aus dem Kosovo, mitgeteilten Bereitschaft, bei der absolut kostenlosen Entsendung von eintausend kubanischen Ärtzten zum Zweck der Behandlung von Hunderttausenden von Kosovo-Flüchtlingen zusammenzuarbeiten. Dies gilt sowohl für heute, wo die Flüchtlinge dichtgedrängt in improvisierten Lager hausen, als auch für morgen, wenn sie in ihr Heimatland zurückkehren können. Diese Hilfe bezieht gleichsam alle Bürger serbischer Herkunft und anderer Nationalitäten ein, die im Kosovo leben.
Sie verlangt, daß die internationale Staatengemeinschaft und besonders die hochindustrialisierte und reiche Gruppe der NATO-Länder, die diesen zerstörerischen Krieg entfesselt haben und direkt an ihm teilnehmen, die Mittel aufbringen, die Jugoslawien für seinen Wiederaufbau benötigen wird.
Sie erklärt, daß der Krieg gegen Jugoslawien ein wahrer Völkermord ist und daß man den Völkermord exemplarisch bestrafen muß, wenn man den Sinn für Gerechtigkeit auf der Welt geltend machen will.
Sie ist der Meinung, daß Javier Solana, der als Generalsekretär die Verantwortung für den Befehl des NATO-Angriffs am 24. März 1999 übernommen hat und der über 70 Tage hinweg diesen Völkermord aufrechterhalten, gefördert und gerechtfertigt hat, in Vertretung aller Schuldigen als Kriegsverbrecher vor einem internationalen Gericht verurteilt werden muß, und sie fordert die internationale Staatengemeinschaft dazu auf, auf diese Verurteilung zu drängen.
Stopp den Bombardierungen! Stopp dem Völkermord! Stopp dem Krieg!
Man muß um jeden Preis die politische Lösung finden! Der Frieden
muß durchgesetzt werden!
Havanna, den 1. Juni 1999