Reflexionen des Genossen Fidel
NACHRICHTEN AUS BOLIVIEN
Am heutigen Donnerstagmorgen, den 9. April, sind
über einen bolivianischen Fernsehkanal frische Nachrichten über Bolivien eingetroffen
und sie widerspiegelten Spannungen im Land.
Alles lief gut. Wichtige Veränderungen sind im
Gange. In Bolivien und auf der Welt nimmt das Prestige von Evo zu. Er bekommt
jedes Mal eine größere Unterstützung seitens der Bevölkerung, und das, obwohl
der Oligarchie fast alle Medien
unterstehen. Eine beispielhafte Alphabetisierungskampagne hat den Analphabetismus
in Rekordzeit beseitigt; die medizinische Betreuung kommt jetzt der gesamten
Bevölkerung zugute; wichtige historische Bedürfnisse des bolivianischen Volkes werden berücksichtigt, sowohl mit
traditionellen als auch mit neuen Methoden. Die Wirtschaft und die
Währungsreserven verzeichnen Wachstum. Das treibt die Oligarchie, die im
Parlament die für Ende des Jahres vorgesehenen Wahlen blockiert, in den
Wahnsinn.
Dieses Manöver hat Evo, die führende Partei und die
Massen zur Anwendung von Kampfmaßnahmen
gezwungen, die sich durch die in ihnen enthaltene moralische Kraft auszeichnen.
Präsident Evo Morales, das Coordinadora Nacional por el Cambio CONALCAM ( Landeskoordinationskomitee für die Veränderung) und der Bolivianische
Gewerkschaftsverband COB haben sich vom
Regierungspalast aus in Massen-Hungerstreik erklärt, womit sie die Achtung der
Verfassung und des Übergangswahlgesetzes fordern, letzteres schon Monate
verzögert, um die Wahlen zu sabotieren.
Evo Morales erklärt Folgendes:
„Kameraden der verschiedenen sozialen
Organisationen des Landes! Angesichts der Nachlässigkeit von einer Gruppe
neoliberaler Parlamentarier sind wir verpflichtet, das Mandat des Volkes zu
verteidigen.
Die
Parlamentarier wussten, dass das Übergangswahlgesetz innerhalb von 60 Tagen zu
verabschieden war.
Sie
wollen jedoch nicht, dass ein Gesetz verabschiedet wird, das es ermöglicht, die
Implementierung der Verfassung abzusichern.
Ein
neues Einwohnerverzeichnis zu fordern, das heißt, dass es weder Landeswahlen zum
Jahresende, noch Präfekten- und Gemeindewahlen
im nächsten Jahr geben wird.
Deshalb
- betone ich - wird diese Anstrengung seitens der Gewerkschaftsführer und der
hauptsächlichen Behörden an der Spitze von COB und CONALCAM, in Verteidigung
des heiligen Rechts des Volkes zur Wahlabstimmung unternommen.
Auf
einer Pressekonferenz habe ich erläutert, wie der Vorschlag einiger Senatoren
besagte, dass das Einwohnerverzeichnis der im Ausland lebenden Bolivianer mit
einer Zweidrittelmehrheit des Kongresses bestätigt werden solle, wo ihnen
bekannt ist, dass diese zwei Drittel nicht erreicht werden können.
Das
ist auch nicht so in der gültigen Verfassung enthalten.
Es
geht hierbei darum, die Wählerstimmen aus dem Ausland nicht zuzulassen.
Die Bolivianer
mit Wohnsitz im Ausland haben ebenfalls ein Recht darauf, das Schicksal des
Landes zu bestimmen und zu entscheiden, wer die Regierenden in ihrem Heimatland
sein werden.
Es
geht um die Verteidigung des Abstimmungsrechts.
Im
vergangenen Jahr kamen sie aus Argentinien und baten, dass dieses Recht im
Senat gebilligt würde, aber sie haben es nicht gebilligt.
Ebenfalls,
als sie über die Bevölkerungsdichte zur Absicherung von Sonderwahlbezirken
sprachen, ging es im Grunde darum, dass es sie nicht geben soll.
Also
bei dieser Anstrengung geht es ebenfalls um die Verteidigung der Sonderwahlbezirke
der Indigenen-Bewegung.
Wir
haben einige Medien irgendwo verlauten lassen hören, dass die Regierung, dass
der Präsident den Kongress geschlossen hätten.
Wir sprechen
nicht über Einkesselung, sondern appellieren eher daran, dass das Gesetz
verabschiedet wird.
Wir
haben an diese Maßnahme appelliert, um die Demokratie zu verteidigen.
Die
gestern antidemokratisch waren, halten sich jetzt für die großen Verteidiger
der Demokratie.
Hier
an unserer Seite sind die Kameraden, die ihr Leben und ihre Zeit für die
wirkliche Demokratie gegeben haben.
Deshalb,
d.h. um eine wirkliche Demokratie zu erreichen, werden Regelungen im
Nationalkongress verabschiedet.
Im
Kongress steht den Parlamentariern eine der besten Möglichkeiten zur Verfügung,
um Demokratie abzusichern und ebenfalls tief greifende strukturelle
Veränderungen.
Ich
bitte die Parlamentarier der Opposition: Machen wir die Geschichte zusammen,
alle zusammen!
Es
muss die soziale Gleichheit berücksichtigt und an die sozialen Lösungen gedacht
werden, welche das Volk möchte, es darf hier keinen Egoismus, kein Sektenwesen
geben.
An
erster Stelle muss das Volk stehen, an erster Stelle das Vaterland und danach
Interessen von Sektoren bzw. Regionen.
Meine
Grüße, von ganzem Herzen, an euch alle, dafür, dass ihr alle zusammen die
Verteidigung der Demokratie, der Stimmabgabe des Volkes, der Stimmabgabe im Ausland
und andere Forderungen struktureller Art mittels eures Hungerstreiks übernommen
habt.“
„Vielen
Dank!“
Mit diesem Aufruf beendete er seine Worte.
Im Verlaufe des Tages wird die Entwicklung der
Ereignisse bekannt.
Um 14:25 Uhr führe ich ein Gespräch mit Rafael
Dausá, unserem Botschafter in
Evo geht es gut, er ist tatkräftig und gelassen. Er
nimmt nur Wasser zu sich. An seiner Seite im Regierungspalast befinden sich
Führer des Bolivianischen Gewerkschaftsverbandes und Bauernführer des Komitees Coordinadora Nacional por el Cambio.
García Linera steht als Vizepräsident von Bolivien dem Kongress vor. In einem
Ausschuss wird ein Austausch mit der oligarchischen Opposition geführt. Eine
sehr viel diskutierte Angelegenheit ist die Anzahl der Indigenen-Abgeordneten von
Evos Vorschlag über die Vertretung dieser Gemeinschaften auf der Grundlage der
verabschiedeten Verfassung, ohne Zahlen festzulegen. Evo schlägt 14 vor, die
Opposition akzeptiert nur 3. Ich schickte Grüße an Evo. Bis zu jenem Zeitpunkt waren
noch keine Gewaltakte zu verzeichnen gewesen.
Um 16:01 Uhr spreche ich erneut mit Dausá. Er hatte
meine Grüße an Evo ausgerichtet, der für den 9. April einen Besuch in Kuba
vorgesehen hatte. Er erschien ihm vollkommen ruhig. Er spielte Schach mit
seinen Kameraden. Die Bevölkerung beginnt, sich dem Hungerstreik anzuschließen;
dieser hat sich auf El Alto, Cochabamba, Santa Cruz,
Für die Verabschiedung des Wahlübergangsgesetzes
war die Mehrheit in jeder der beiden Kammern erforderlich, sodass es leicht für
sie ist, die Verabschiedung im Kongress zu blockieren. Jedoch steht Evo ein
gesetzliches Mittel zur Verfügung. Innerhalb seiner verfassungsmäßigen
Befugnisse besitzt er die Möglichkeit ein Präsidialdekret zur Verabschiedung
des zur Debatte stehenden Gesetzes zu verkünden. Er kann außerdem in jenem Fall
den Kongress auflösen und zu Parlamentswahlen aufrufen, aber er möchte dies in
seinem Streben zur Bewahrung der Einheit des Landes nicht tun. Deshalb lädt er
die Opposition ständig dazu ein, die Anstrengungen zur Entwicklung desselben
zum Nutzen aller Sektoren der Nation zu teilen. Auf internationaler Ebene wird
ihm seine Ehrbarkeit und sein demokratischer Geist anerkannt.
Vor einigen Minuten hörte ich die Debatte im
Kongress. Der Hass und die Unverschämtheit der Oligarchie-Führer ist
unglaublich. Sie sind in der Beschimpfung und den persönlichen Beleidigungen
geübt. Es empört sie, dass Evo der erste
Indio in der modernen Geschichte unseres Amerika ist, der ein Land regiert, das
außerdem ein Land von uralter indigener Herkunft und ebensolchen Traditionen
ist.
In der Kammer wurde gerade das umstrittene Gesetz
mit 100 Stimmen dafür und 30 dagegen verabschiedet. Die Debatte findet in
Um 18:40 Uhr setzte ich mich erneut kurz mit Dausá
in Verbindung. Er erzählt mir, dass jetzt gerade Vertreter der Organisationen
des Volkes auf der Plaza Murillo vor dem Regierungspalast ankommen. Er
kommentiert ebenfalls die Unverschämtheit der Gesichtspunkte, obwohl er mir
sagt, dass nicht alle Abgeordneten der Oligarchie so ordinär sind, manche
verhalten sich korrekt. Die Verhandlungen gehen ebenfalls weiter und vielleicht
kommt man spät in der Nacht zu einer Entscheidung.
Ich höre im Fernsehen der schon beginnenden Senatsdebatte zu.
Die Übertragung hörte um 19:20 Uhr auf, als ein
Senator der Opposition die Unterbrechung der Versammlung zu Verhandlungszwecken
forderte und sich den anderen Senatoren anschlossen. Nach über zweieinhalb
Stunden war sie noch nicht wieder fortgesetzt worden.
Um 20:41 Uhr rief ich Dausá an. Evo geht es gut, er
steht ständig über ein Handy mit seinen Leuten in Verbindung. Es kommen weiterhin
Leute auf der Plaza Murillo an. Unserem Botschafter ist bekannt, dass die Verhandlungen
vorankommen, aber die Opposition bittet, dass die Leute sich von der Plaza
zurückziehen und dass Evo mit seinem Hungerstreik aufhört. Es ist kaum möglich,
dass sie diese beiden Dinge erreichen können. Dausá ist der Meinung, dass
vielleicht gegen Ende der Nacht eine Vereinbarung erreicht wird. Ich versprach,
ihn erneut anzurufen.
Ich habe Dausá weitere zwei Mal angerufen, um 22:20
Uhr und 22:49 Uhr.
Der erste Anruf fiel mit den Worten von García
Linera zur Erklärung des aktuellen Stands überein. Die Sackgasse bleibt im Kongress weiterhin bestehen. Er
erläutert, was tagsüber am Verhandlungstisch erreicht worden ist. Er bedauert
die Unnachgiebigkeit der Senats-Minderheit. Sie fordern weiterhin, dass Evo mit
seinem Hungerstreik aufhört und dass die Plaza Murillo von den Menschen geräumt wird. Es besteht
schon nicht mehr die Möglichkeit, dass am heutigen Donnerstag eine Vereinbarung
erreicht wird. Vielleicht am frühen Freitagmorgen, aber das ist nicht sicher.
Evo geht es gut und er ist gelassen. Er behält seine Haltung unverändert bei. Bei
meinem zweiten Anruf, nach mehreren Kontakten, die noch ausstanden, bestätigt
er mir das vorherige.
Es ist schon Mitternacht und es gibt keine
Vereinbarung. Die Opposition hat das Parlament verlassen. Ich muss dieses
Material Cubadebate zur rechtzeitigen Veröffentlichung in unserer Presse
übergeben. Es ist kein Spiel des Baseball Classic, aber trotzdem muss man recht
spät schlafen gehen. Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass Evo siegreich daraus
hervorgehen wird.
Fidel Castro Ruz
10. April 2009
00:06 Uhr