Reflexionen
des Genossen Fidel
WAS HAITI
LEHRT
Vor zwei Tagen, ungefähr um 18 Uhr kubanischer Ortszeit - in Haiti aufgrund
seiner geographischen Lage schon nachts - haben die Fernsehsender begonnen, Nachrichten
darüber zu verbreiten, dass ein heftiges Erdbeben der Stärke 7,3 auf der
Richterskala Porte-au-Prince heimgesucht und stark beschädigt hatte. Das
seismische Phänomen hatte in einer im Meer gelegenen tektonischen Störung
begonnen, nur
Die Nachrichten setzten sich fast ohne Unterbrechung stundenlang fort. Es
gab keine Bilder, aber es wurde behauptet, dass viele öffentliche Gebäude,
Krankenhäuser, Schulen und solider gebaute Einrichtungen als kollabiert
gemeldet wurden. Ich habe gelesen, dass ein Erdbeben der Intensität 7,3 der
freigesetzten Energie einer Explosion von 400 000 Tonnen TNT entspricht.
Tragische Beschreibungen wurden übermittelt. Die Verletzten auf den Straßen
verlangten schreiend medizinische Hilfe, während sie von Ruinen umgeben waren,
die Familien unter sich begraben hatten. Jedoch viele Stunden lang hatte
niemand irgendein Bildmaterial übermitteln können.
Die Nachricht hat uns alle überrascht. Viele von uns hatten häufig
Informationen über Hurrikans und große Überschwemmungen in Haiti gehört, aber
wir wussten nicht, dass das Nachbarland Gefahr lief, ein großes Erdbeben zu erleiden.
So kam jetzt zur Sprache, dass vor 200 Jahren in dieser Stadt, die damals
sicherlich einige wenige tausend Einwohner zählte, ein großes Erdbeben
stattgefunden hatte.
Um Mitternacht wurde immer noch nicht ungefähre Angaben über die Zahl der
Opfer gemacht. Hochrangige Vertreter der Vereinten Nationen und mehrere
Regierungsoberhäupter sprachen über die erschütternden Ereignisse und kündigten
die Entsendung von Hilfstrupps an. Da dort MINUSTAH-Truppen stationiert sind,
Streitkräfte der Vereinten Nationen aus verschiedenen Ländern, sprachen einige
Verteidigungsminister von möglichen Verlusten unter ihrem Personal.
An sich erschienen erst am Mittwoch, d.h. gestern Morgen, traurige
Mitteilungen über eine enorme Anzahl von Opfern unter der Bevölkerung, und sogar
solche Organisationen wie die Vereinten Nationen sagten, dass einige ihrer
Gebäude in jenem Land einen Kollaps erlitten hatten, eine Bezeichnung, die an
sich selbst nichts aussagt, oder viel bedeuten kann.
Ununterbrochen erschienen über Stunden weitere, immer traumatischere
Nachrichten bezüglich der Lage in jenem Bruderland. Es wurde über Angaben zu
den Opfern diskutiert, die gemäß verschiedenen Versionen in der Größenordnung
zwischen 30 000 und 100 000 liegen. Die Bilder sind erschütternd; es ist offensichtlich,
dass über das katastrophale Ereignis weltweit in großem Umfang berichtet wurde
und dass viele Regierungen, aufrichtig erschüttert, Anstrengungen unternehmen,
um im Rahmen der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel Hilfe zu leisten.
Die Tragödie, bewegt in ehrlicher Absicht eine große Anzahl von Menschen,
besonders die Naturkatastrophe. Aber vielleicht sehr wenige halten inne um zu
überlegen, warum Haiti ein so armes Land ist. Warum sind knapp 50 Prozent
seiner Bevölkerung von den Geldüberweisungen abhängig, die aus dem Ausland
kommen? Warum sollte man nicht ebenfalls die Realitäten untersuchen, die zur
jetzigen Situation von Haiti und seinen riesigen Leiden geführt haben?
Das Seltsamste an dieser Geschichte besteht darin, dass niemand auch nur
ein Wort darüber verliert, um daran zu erinnern, dass Haiti das erste Land war,
in dem sich 400 000 Afrikaner, die von den Europäern versklavt und gehandelt
wurden, gegen 30 000 weiße Besitzer der Zuckerrohr- und Kaffeeplantagen
erhoben, womit sie die erste große soziale Revolution in unserer Hemisphäre
durchführten. Dort wurden Seiten von unübertrefflichem Ruhm geschrieben. Der
herausragendste General von Napoleon wurde dort besiegt. Haiti ist ein reines
Ergebnis des Kolonialismus und Imperialismus, von über einem Jahrhundert der
Ausnutzung seiner Humanressourcen zu den härtesten Arbeiten, Ergebnis der
militärischen Interventionen und des Entzugs seiner Reichtümer.
Dieses Vergessen der Geschichte würde nicht so schwerwiegend sein, wie es
jedoch die reale Tatsache ist, dass Haiti eine Schande unserer Epoche
darstellt, in einer Welt, wo die Ausbeutung und Ausplünderung der riesigen
Mehrheit der Erdeinwohner vorherrscht.
Milliarden Menschen von Lateinamerika, Afrika und Asien erleiden ähnliche
Mängel, wenn auch vielleicht nicht alle in so einem großen Ausmaß wie in Haiti.
Solche Situationen, wie die jenes Landes, dürfte es an keinem Ort der Erde
geben, wo sich zehntausende Städte und Ortschaften unter ähnlichen und manchmal
noch schlimmeren Bedingungen verlieren, und zwar kraft einer der Welt
auferlegten ungerechten wirtschaftlichen und politischen Weltordnung. Die
Weltbevölkerung ist nicht nur von Naturkatastrophen wie der von Haiti bedroht,
die nur ein schwaches Abbild davon darstellt, was auf dem Planeten aufgrund des
Klimawechsels geschehen kann, der in Kopenhagen wirklich zu einem Objekt des
Hohns, des Spotts und des Betrugs wurde.
Gerechterweise muss allen Ländern und Organisationen, die irgendeinen
Bürger bzw. Mitglied aufgrund der Naturkatastrophe in Haiti verloren haben,
Folgendes gesagt werden: Wir zweifeln nicht daran, dass Sie in diesem
Augenblick die größten Anstrengungen unternehmen werden, um Menschenleben zu
retten und den Schmerz jenes gelittenen Volkes zu lindern. Wir können Ihnen nicht
die Schuld an dem dort stattgefundenen Naturphänomen geben, obwohl wir nicht
mit der Politik einverstanden sind, die Haiti gegenüber angewandt wird.
Ich darf nicht vergessen, die Meinung zu äußern, dass es an der Zeit ist, reale
und wirkliche Lösungen für jenes Brudervolk zu suchen.
Im Gesundheitswesen und auf anderen Gebieten leistet Kuba – trotzdem es ein
armes und unter Blockade stehendes Land ist - seit Jahren dem haitianischen
Volk Hilfe. Circa 400 Ärzte und Fachleute im Gesundheitswesen leisten dem
haitianischen Volk kostenlos Hilfe. In 227 der 237 Gemeinden des Landes
arbeiten täglich unsere Ärzte. Andererseits wurden mindestens 400 junge
Haitianer in unserem Vaterland zu Ärzten ausgebildet. Sie werden jetzt zusammen
mit der gestern dorthin gereisten Verstärkung arbeiten, um in dieser so
kritischen Situation Leben zu retten. Sodass bis zu eintausend Ärzte und
Fachleute im Gesundheitswesen mobilisiert werden können, die schon fast alle
dort und bereit sind, mit jeglichem anderen Staat zusammenzuarbeiten, der Leben
von Haitianern retten und Verletzte rehabilitieren möchte.
Eine weitere, sehr große Anzahl von jungen Haitianern absolviert zurzeit
jenes Medizinstudium in Kuba.
Wir leisten dem haitianischen Volk ebenfalls, wo es uns möglich ist, auf
anderen Gebieten Hilfe. Es gibt jedoch keine andere Art und Weise der Hilfe und
Zusammenarbeit, die es würdiger ist, so bezeichnet zu werden, als die, auf dem
Gebiet der Ideen und der politischen Aktion dafür zu kämpfen, um der
unendlichen Tragödie ein Ende zu setzen, unter der eine große Anzahl von
Nationen wie Haiti leiden.
Die Leiterin unserer Ärztebrigade hat informiert: „Die Situation ist
schwierig, aber wir haben schon begonnen, Leben zu retten.“ So lautete ihre
sachliche Botschaft nach ihrer gestrigen Ankunft in Port-au-Prince in
Begleitung des zusätzlichen Ärztepersonals.
Spät abends hat sie mitgeteilt, dass die kubanischen Ärzte und die
Haitianer, Absolventen der Lateinamerikanischen Medizinschule ELAM, sich dabei
befanden, sich im Land zu positionieren. Sie hatten schon in Port-au-Prince
über eintausend Patienten behandelt und mit Eile ein Krankenhaus, das nicht
zusammengestürzt war, in Betrieb genommen, und dort, wo es notwendig war, Zelte
verwendet. Sie befanden sich in den Vorbereitungen zur schnellstmöglichen
Einrichtung weiterer Notbehandlungsstellen.
Wir sind ehrlich stolz auf die Hilfe, die ihren haitianischen Brüdern und
Schwestern von den kubanischen Ärzten und den jungen, in Kuba ausgebildeten
haitianischen Ärzten geleistet wird!
Fidel Castro Ruz
14. Januar
2010
20:25 Uhr