Reflexionen des Genossen Fidel

 

DAS DARF NIEMALS VERGESSEN WERDEN

 

Am vergangenen Dienstag, dem 21. September, habe ich mich um 9:00 Uhr mit über 600 Passagieren des Kreuzfahrtschiffs für den Frieden (Peace Boat) getroffen, fast alle japanischer Staatsangehörigkeit, zu denen eine Überlebende des Massenmords in der Stadt Hiroshima gehörte, die zum Zeitpunkt der Tat zwei Jahre alt war.  

Das kubanische Landesfernsehen hat das Treffen übertragen, aber die Übersetzung im Konferenzraum des Kongresspalasts erfolgte nicht simultan und die Stimmen der Dolmetscherinnen, die diese schwierige Aufgabe ausgeführt haben, überdeckten meine Worte. Deshalb habe ich mich entschlossen, eine Reflexion über das Thema zu verfassen.

Ich habe die Möglichkeit genutzt, um das von mir Gesagte zu kürzen und die übermittelten Ideen besser zu ordnen, wobei ich aber seinem Inhalt vollkommen treu geblieben bin.

Die Worte der anderen beteiligten Personen habe ich vollständig übertragen.

Trotz meiner Bemühungen war die Reflexion schließlich doch lang, da das Treffen zweieinhalb Stunden gedauert hat. Deshalb habe ich mich entschlossen, sie in drei Teile zu unterteilen, die man in aufeinander folgenden Tagen veröffentlichen wird.

Das Treffen begann mit den Worten von Kenia Serrano, Präsidentin des Kubanischen Instituts für Völkerfreundschaft (ICAP):

Guten Tag!

Am vergangenen 3. September hat der Direktor der Nichtregierungsorganisation Kreuzfahrten für den Frieden, Herr Yoshioka Tatsuya, unserem Comandante en Jefe ein Schreiben gesendet, in dem er ihn darum bat, die Leitungsmitglieder des Kreuzfahrtschiffes und die mitreisende Überlebende von Hiroshima und Nagasaki zu empfangen. Der Comandante hat eingewilligt und hat mit Vergnügen ebenfalls eine umfangreiche Vertretung der Passagiere zu diesem Treffen eingeladen.

Wir nehmen heute, am 21. September, der von den Vereinten Nationen zum Weltfriedenstag erklärt worden ist, an diesem Treffen teil, und natürlich unter der für uns denkwürdigen Anwesenheit unseres lieben Comandante en Jefe Fidel Castro Ruz. (Beifall)

Ich stelle Ihnen das Präsidium unseres Treffens vor:  Herr Nao Inoue, Leiter dieser Seereise des Kreuzfahrtschiffes für den Frieden (Beifall); Frau Matsumi Matsumura, ebenfalls Leitungsmitglied des Kreuzfahrtschiffes für den Frieden, die uns helfen wird, dieses Treffen ins Spanische zu übersetzen (Beifall); Frau Junko Watanabe, Mitglied der Bewegung Hibakusha, Überlebende von Hiroshima und Nagasaki, und Susana García, Dozentin der Universität von Havanna, die ebenfalls diesen Dialog ermöglicht, indem sie ins Japanische übersetzt, wie ihr sehen könnt. (Beifall).

Comandante...

Comandante:  Was ist jetzt meine Aufgabe, eine Rede?

Kenia Serrano:  Eine Begrüßung, das möchten wir alle.

Comandante: Nein, die Wahrheit ist, dass ich gekommen bin, Fragen zu beantworten. Ich habe Sie gefragt, was meine Aufgabe ist und man hat mir nichts gesagt. 

Ich möchte an erster Stelle für die erwiesene Ehre danken, die dieses Treffen bedeutet. 

Wie Ihnen bekannt ist, war ich wenig in der Öffentlichkeit, ich habe Zeitungen gelesen; aber ich habe viele Ihrer Treffen verpasst, weshalb ich im Nachhinein die gesamte Entwicklung im Detail erfahren habe. Ich habe schon viel über Sie erfahren: wie oft Sie in Kuba gewesen sind, dass Sie 1990 begonnen haben, 1995,1997 und 1998 erneut gekommen sind; in den Jahren 2000, 2001 und 2002, zweimal; dann 2005, 2007 und 2009, und jetzt, sodass es, soweit ich weiß, insgesamt 14 Reisen sind.

Nun gut, die Sache ist so: Als ich die Einladung erhalten habe, hat es mich sehr erfreut, einen Meinungsaustausch mit Ihnen führen zu können, und zwar aufgrund der Bedeutung des Augenblicks, in dem wir jetzt leben, denn es ist nicht irgendein Zeitpunkt; außerdem aus einem Dankbarkeitsgefühl heraus, da mir Ihre Solidarität während all der Jahre bekannt ist, außerdem die Schwierigkeiten, die Kampfaktionen gegen die Blockaden, die Identität und Nationalität des Schiffes selbst, die Häfen, die Sie anlaufen konnten und diejenigen, die Sie nicht anlaufen durften, ob man Sie mit Treibstoff versorgte oder nicht, und weiterer ähnlicher Schwachsinn unseres wichtigsten Gegners, mit dessen Methoden niemals eine Welt des gegenseitigen Verständnisses und des Friedens auf unserem Planeten erreicht werden kann.

Wenn ich mich an Ihre Losung erinnere, die meines Erachtens einen besonderen Wert hat: „Lerne aus den vergangen Kriegen, um eine friedliche Zukunft aufzubauen“, dann ist das mit Sicherheit eine Aussage, die immer ihre Bedeutung haben wird, aber im Augenblick hat sie diese mehr denn je. Ohne Befürchtung mich zu irren, wage ich zu sagen, dass es niemals in der Menschheitsgeschichte einen so gefährlichen Augenblick wie diesen gegeben hat. Sodass es sich bei Ihrer Reise nicht um eine einfache Reise handelt, es handelt sich um einen realen, ernsten Kampf, und das, was ich sage, kann bewiesen werden. Ich hoffe, dass beim Meinungsaustausch veranschaulicht wird, wie darüber gedacht wird, bzw. welche Lösungen möglich sein könnten; realistische Lösungen und nicht nur ein Ausdruck edler Wünsche. 

Das Treffen hat für mich eine sehr große Bedeutung, besonders wegen der von Ihnen zum Thema gesammelten Erfahrung. 

In diesen Tagen jährte sich erneut jenes brutale und ungewöhnliche Ereignis, bei dem zum ersten Mal Atomwaffen auf friedliche Städte abgeworfen wurden. 

Es wurde wirklich überall auf der Welt dessen gedacht, was am 6. August 1945 in Hiroshima geschehen ist. Ich hatte mein Abitur abgeschlossen, daran erinnere ich mich, es war Sommer, ich war in Santiago de Cuba zu Besuch, als die Nachricht kam, und niemand hatte auch nur die geringste Idee, dass es eine Waffe dieser Art gab. Ich glaube drei Tage danach wurde die zweite Atombombe abgeworfen.

Darüber kann ich später mehr sagen, welche Gefühle mich heimsuchten und was für eine Meinung ich mein ganzes Leben lang immer bezüglich dieses Ereignisses hatte. Aber es ist ein Beispiel für jene Dinge, die dazu beitragen, Bewusstsein zu erlangen, denn die Vorführung all dessen, was dort geschah und den Schaden, den es den Menschen zugefügt hat, hat trotz der verflossenen Zeit erneut die Weltöffentlichkeit bewegt. Ich glaube nicht, dass etwas anderes geschehen ist, dass in höherem Maße zum Ausdruck bringen kann, was Krieg bedeutet.

Nun gut, ich habe Ihnen, glaube ich, genügend Zeit geraubt, um diese anfänglichen Worte zu sagen. Jetzt möchten wir Sie anhören. Ich bin bereit, jede Frage zu beantworten, die Sie mir stellen möchten, und zwar jeder Art. Ich habe keinerlei Geheimnisse, jedes Thema kann behandelt werden. 

Ich würde gern von unserer Übersetzerin wissen, wie sie zurecht gekommen ist. Ja, von dir, von dir (Gelächter und Beifall).

Dolmetscherin:  Gut, anscheinend gut, Comandante.

Comandante:  Sehr gut.

Kenia Serrano:  Danke, Comandante.

Herr Nao Inoue, ich möchte Sie bitten.

Nao Inoue:  Guten Morgen! (Ausrufe:  „Guten Morgen!“)

Ich möchte zuallererst unseren tiefsten Dank dafür aussprechen, dass Sie uns dieses Mal empfangen haben. 

Ich heiße Nao Inoue, Leiter der Kreuzfahrt in ihrer Ausgabe 70. Ich möchte Ihnen einige Worte im Namen aller Peace Boat-Mitglieder sagen.

Es scheint, dass wir schon verstanden haben, dass Sie viel über unsere Organisation gelernt haben. Wir haben diese Organisation im Jahr 1983 gegründet, das sind jetzt schon mehr als 27 Jahre. Wir haben bis jetzt 70 weltweite Kreuzfahrten durchgeführt, an denen über 40.000 Japaner teilgenommen haben. 

Wie Sie wissen, sind es schon insgesamt 14 Reisen nach Kuba und auch für uns ist dieses Jahr sehr wichtig, denn es ist der 20. Jahrestag, deshalb hat es für uns große Bedeutung, Sie persönlich kennen zu lernen, Comandante.

Während dieser 20 Jahre haben wir alle Bemühungen darein gelegt, Brücke zwischen dem kubanischen und dem japanischen Volk zu sein, und wir sind auch immer gegen die ungerechte, aber wirklich vollkommen ungerechte Blockade gewesen.

Wir sind der Meinung, dass es sehr relevant ist, diese Brückenfunktion weiter auszuführen, und nicht nur zwischen dem kubanischen und dem japanischen Volk, d.h. zweiseitig, sondern ebenfalls unter Einschluss der lateinamerikanischen Länder und der asiatischen Länder. Der Grund dafür, dass wir verstärkt daran arbeiten wollen, besteht darin, dass wir eine Welt in Frieden fördern möchten, eine nachhaltige Welt, an erster Steller mit Kuba, und wir beginnen gerade, die brüderlichen Freundschaftsbande mit Venezuela, Ecuador und Nicaragua zu vertiefen. Von diesen Ländern ist Kuba das Land, das wir am meisten besucht haben.  Wir werden ebenfalls die Möglichkeit haben, den Präsidenten von Nikaragua, Herrn Daniel Ortega, kennen zu lernen.

Um die brüderlichen Freundschaftsbande zwischen den Ländern des ALBA und Japan zu vertiefen, sind wir dabei, ein Projekt zu beginnen, das Jugend-Kreuzfahrt des ALBA heißt, und bei dem wir die jungen Menschen aus den Ländern des ALBA an Bord einladen und Meinungsaustausche, Foren und Lernkonferenzen durchführen, und wir möchten Sie, Comandante, auch gern bitten, uns bei diesem Projekt zu unterstützen.

Und wie Sie erwähnt haben, sind wir das einzige Land, auf das die Atombombe abgeworfen wurde, und so sind wir der Meinung, dass wir die Verpflichtung haben und auch die Aufgabe, Botschaften für eine von Atomwaffen freie Welt zu übermitteln. Wir würden ebenfalls gern mit Ihnen zusammenarbeiten, um die Beseitigung der Atomwaffen zu erreichen.

Wir möchten hier auch erwähnen, dass Japan, ein Land ist, dass eine pazifistische Verfassung hat und auf den Krieg verzichtet und ebenfalls atomare Massenvernichtungswaffen (sic). 

Wir lernen in den lateinamerikanischen Ländern, dass Sie ebenfalls pazifistische Verfassungen haben und ebenfalls die Existenz von ausländischen Militärstützpunkten verbieten. Und wir haben vor, der UNO vorzuschlagen, in einer UNO-Resolution, dass diese fördert, dass alle Länder der Welt solch eine wunderbare pazifistische Verfassung bekommen.

Wir wollen niemals Krieg, wir dürfen die Anwendung der Atomwaffen niemals zulassen. So wie die Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki immer sagen: „Wir wollen solcherart brutale Tragödie nie wieder erleben.“ Wir wollen eine Welt und eine Gesellschaft errichten, in der die Leute auch leben wollen, sie wollen nicht in Armut oder ähnliches leben. Deshalb sind wir der Meinung, dass es sehr wichtig ist, dass alle Länder diese Art Verfassung haben. Wir haben uns selbst versprochen, dass wir eine Welt ohne Armut und ohne Hunger schaffen werden, mit viel Freude und sie muss nachhaltig sein.

Zuletzt noch etwas. Comandante, ich bin ein großer Fan von Ihnen (Gelächter und Beifall).  Es scheint, dass wir alle Fan von Ihnen sind. 

Wir wissen, dass Sie sehr beschäftigt sind, aber wir möchten Sie an Bord einladen, um bis nach Nicaragua zu fahren. Was meinen Sie dazu?  (Beifall)  Was denken Sie? (Beifall)

Comandante:  Wunderbar!  (Beifall)

Nao Inoue:  Mit dieser Einladung möchte ich meine Worte beenden. Vielen Dank! (Beifall)

Comandante:  Das wird nicht in der Hurrikan-Saison sein, nicht wahr? (Gelächter)

Man hat mir gesagt, dass Sie gestern ankommen sollten, dass aber ein paar Wirbelstürme auf dem Atlantik wüteten. Um welche Uhrzeit sind Sie schließlich angekommen?

Nao Inoue:  Um 5:00 Uhr früh.

Comandante:  Und ist es möglich, die Geschwindigkeit des Peace Boat zu erfahren? (Gelächter.)

Nao Inoue:  Ungefähr wie ein schnelles Fahrrad (Gelächter).

Comandante:  Nun gut, das hängt davon ab, wer fährt. Die Weltmeisterin erreicht, glaube ich, mehr als 60 Kilometer pro Stunde. (Gelächter)

Ich meine, in diesen Zeiten müsste das Peace Boat schneller vorankommen – es ist dringlicher, die Welt zu bereisen. (Beifall) 

Ich sollte Sie außerdem um Entschuldigung bitten. Ich habe über Ihre Ankunft gestern Früh erfahren und da begann ich zu überlegen, wie wir das Treffen organisieren können, denn man hatte mir gesagt, dass Sie um ein Treffen mit einigen von Ihnen gebeten hatten, und ich sagte mir: „Nun gut, wenn es möglich ist, dann werde ich versuchen, alle zu begrüßen“. Ich wusste jedoch nicht, um welche Uhrzeit Sie ankommen würden. Außerdem hatten Sie schon ein Programm für den ganzen Tag vorgesehen. Nun gut, was tun, um nicht die anderen bzw. das weitere Programm zu behindern? Aus diesem Grund haben wir dieses Treffen so früh angesetzt. Wir mussten alle sehr zeitig aufstehen. Ich  kann mir vorstellen, dass Sie…, ich weiß nicht wo Sie zu dem Zeitpunkt waren, ob Sie an der Reling des Schiffes die Hafeneinfahrt nach Havanna beobachtet oder noch geschlafen haben. Ich bitte Sie um Entschuldigung, denn ich bin schuld daran, dass Sie das Programm erweitern mussten. (Beifall) So haben wir schließlich das Treffen für diese Uhrzeit organisiert, oder besser gesagt improvisiert, damit Sie die weiteren Aktivitäten durchführen können und nicht meine Beziehungen zu den anderen Einrichtungen, die Sie empfangen werden, in die Brüche gehen.

Ich glaube, wir haben eineinhalb Stunden zur Verfügung. Ich habe den anderen gesagt: Schließlich sollten sie heute eintreffen, werden aber morgen ankommen, sodass also eine gewisse Flexibilität vorhanden ist. Ich glaube, das Schiff läuft heute Nachmittag um 17 Uhr aus.

Kenia Serrano:  Es ist vorgesehen, um 17 Uhr auf das Schiff zurückzukehren und um 19 Uhr auszulaufen.

Comandante:  Es sollte um 19 Uhr auslaufen?

Kenia Serrano:  Jawohl.

Comandante:  Stimmt, der Abschluss der Aktivitäten war für 17 Uhr vorgesehen.

Nun gut, wenn ein Wirbelsturm dazu gezwungen hat, die Reise zu verzögern, dann ist es auch keine Tragödie, wenn Sie um 21 Uhr oder 22 Uhr auslaufen, so würden Sie ein bisschen länger in Havanna sein. Zum Glück erfolgte der Besuch nicht zu Kriegszeiten sondern im Frieden.

Also ich bitte nochmals um Entschuldigung.

Hast du eine Vorstellung, wie dies hier ablaufen wird?

Kenia Serrano:  Comandante, es war ergreifend, bei den Fahrten hat das Kreuzschiff immer Überlebende von Hiroshima mitgebracht – sowohl im vergangenen Jahr als jetzt – und hier ist Frau Junko Watanabe anwesend.  Ich schlage vor, ihr Zeugnis zu hören.

Junko Watanabe:  Ich möchte vor allem sagen, dass es eine große Ehre und auch ein Vergnügen ist, Sie kennen zu lernen, Comandante Fidel Castro, und ich möchte Ihnen meinen herzlichen Dank dafür zum Ausdruck bringen, dass Sie uns so freundlich empfangen haben.

Ich möchte ebenfalls meinen Dank für das große Interesse und die Kenntnis zeigen, die das kubanische Volk über Hiroshima und Nagasaki besitzt. Außerdem hat die Friedensbewegung von Kuba gestern ein Treffen zu meinen Ehren durchgeführt, das gleichzeitig eine Kundgebung anlässlich des Internationalen Tags des Friedens war und eine sehr schöne Veranstaltung im Haus der Völkerfreundschaft gewesen ist.

Ich wurde in Hiroshima geboren und habe dann einen Japaner geheiratet und bin nach Brasilien gezogen, um dort zu wohnen.  Ich bin mit 25 Jahren nach Brasilien gegangen und dann mit 38 Jahren nach Japan zurückgekehrt, aber in jenem Augenblick habe ich zum ersten Mal bekannt, dass ich eine Überlebende von Hiroshima und Nagasaki bin.

Ich bin im Stadtzentrum von Hiroshima geboren, aber während des Zweiten Weltkriegs war meine Familie außerhalb der Stadt evakuiert, und da ich nur zwei Jahre alt war, kann ich mich nicht erinnern. Aber als ich von meinen Eltern erfuhr, dass ich eine Überlebende war, hat mich das sehr beeindruckt. 

Um 8:15 Uhr des 6. August 1945 befand sich meine Mutti mit meinem jüngeren Bruder im Haus. Ich spielte mit meinem älteren Bruder auf dem Hof eines Tempels, der sich in der Nähe unserer Wohnung befand. Da spürte meine Mutti den starken, schrecklichen Wind und sah auch das verbrannte Papier, das vor ihrem Haus niederfiel. Sie war überrascht und kam dann, uns vom Tempel abzuholen. In diesem Augenblick fiel der schwarze Regen auf uns nieder. Der Regen war schwarz und klebrig. 

Vor dem Bombenabwurf war das Wetter an jenem Morgen des 6. August sehr schön und es wird gesagt, dass diese Atombombe in 580 Meter Abstand von der Erde explodierte.

Comandante:  Wie viel Meter?

Junko Watanabe:  In fünfhundertachtzig Meter Abstand von der Erde.

Comandante: Eine Atombombe.

Junko Watanabe:  Ja, eine Atombombe.

Comandante:  Jene Energie kam vom Uran, es war nicht Plutonium. Die Plutonium-Bombe war in der anderen Stadt.  

Junko Watanabe:  Ja, in Nagasaki.

Da sie in größerer Höhe explodierte, hat sie mit den so heißen Strahlen und dem so heißen Wind, bis die Leute verbrannt sind, viel Schaden angerichtet. Und nach der Bombe wurden aller Staub und die Papiere noch oben gewedelt und anschließend fiel der schwarze Regen mit der Strahlung nieder.   

Nachdem der schwarze Regen auf meinen Körper gefallen war, war dessen Zustand Folgender:

Comandante:  Wie bitte, wiederholen Sie bitte.

Junko Watanabe:  Mein Körper wurde geschädigt und ich werde Ihnen jetzt erläutern, in welchem Zustand er sich befand. 

Ich litt jeden Tag aufgrund des Durchfalls. Ich konnte essen, aber keiner der Nährstoffe blieb in meinem Körper, alles, was ich aß, kam wieder heraus. Meine Eltern dachten, dass ihre Tochter sterben würde. 

In Wirklichkeit kann ich mich nicht an diese schrecklichen Szenen erinnern, denn ich war zwei Jahre alt.

Als ich 60 Jahre alt wurde, begann ich, in Brasilien in einem Verband teilzunehmen. In Brasilien leben jetzt 132 Überlebende von Hiroshima und Nagasaki.

Comandante:  Wo, in Brasilien?

Junko Watanabe:  Ja, in Brasilien.

Comandante:  Waren sie Kinder, als sie dorthin gegangen sind?

Junko Watanabe:  Aus verschiedenen Altersgruppen.

Comandante:  Die Eltern sind mit ihnen gegangen, nicht wahr?

Junko Watanabe:  Die meisten hatten geheiratet und sind schon als Erwachsene ohne ihre Eltern hingegangen.

Das Durchschnittsalter der Überlebenden ist jetzt 75 Jahre, ein zunehmendes Alter. Deshalb hat der Verbandspräsident in Brasilien sie gebeten, dem Verband zu helfen, da sie eine junge Überlebende ist.

Wenn ich auch eine Überlebende bin, so wusste ich doch vor meiner Teilnahme in diesem Verband nichts über die Atombombe, da ich mich kaum erinnern konnte. 

Dann hatte ich die Möglichkeit, alle Dokumente zu lesen, die von 200 Überlebenden von Hiroshima und Nagasaki verfasst worden waren, die in Brasilien lebten und in denen die Wahrheit darüber festgehalten war, was in Hiroshima und Nagasaki geschehen ist. Das war der erste Augenblick, in dem mir die Realität der Atombombe von Hiroshima bekannt wurde. Sie haben die Szene sehr brutal beschrieben.

Aufgrund der Schwermut und des Grolls war ich sehr traurig und spürte, dass ich zitterte.

Ich habe ebenfalls einen von einem japanischen Journalisten gefilmten Dokumentarfilm entdeckt. Jedoch nach dem Atombombenabwurf haben die US-amerikanischen Akademiker diese Information geraubt und in ihr Land gebracht.  Sie wollten uns nie jenes Video zeigen, dass ich im Büro gefunden habe.

Es war ein bisschen schwer, es anzuschauen, denn es ist ein sehr altes Filmmaterial. So habe ich einen Freund gebeten, es zu einem DVD zu verarbeiten.    

Zusammen mit 10 Freunden, die Überlebende sind, haben wir den Film gesehen.

Die Szenen, die in diesem Dokumentarfilm zu sehen sind, waren zu brutal und ich habe ihn mit viel Schwermut angeschaut, die Stadt Hiroshima verschwand vor den Augen. 

Ich habe es im Dokumentarfilm gesehen, d.h. wir haben es gesehen – die Gebäude vollkommen verbrannt und die Stadt war vollkommen schwarz.  Man sah auch Leute herumlaufen, aber ohne Bewusstsein; von ihren Armen hing die Haut herab, denn sie war geschädigt, die Augen traten ihnen aus den Augenhöhlen. Die Leute liefen herum, waren sich aber Nichts bewusst.

Als ich es im Dokumentarfilm gesehen habe, wurde mir bewusst, dass ich in jenem Augenblick dort gewesen bin, auch wenn ich mich nicht an diese Szenen erinnern konnte, und mir wurde ebenfalls bewusst, dass das Menschen getan hatten, und so spürte ich einen tiefen Groll und Traurigkeit.

Schließlich begann ich zu überlegen: Wir müssen diese Zeugnisse den nachfolgenden Generationen übermitteln, und vor zwei Jahren, im Jahr 2008 habe ich am Projekt Hibakusha mitgearbeitet, das die  Organisation Peace Boat durchgeführt hat, zu dem 100 Überlebende an Bord eingeladen wurden, und so sind wir gereist und haben in jedem Hafen Zeugnis abgelegt und ich habe andere Hibakusha auf der Welt kennen gelernt.

In Vietnam haben wir die Opfer des Agent Orange kennen gelernt, was im Vietnamkrieg verursacht wurde, und uns wurde bekannt, was diese und ihre Eltern gelitten haben.  Die von ihnen erlittenen Auswirkungen werden auf die nachfolgenden Generationen übertragen.

Mein älterer Bruder, mit dem ich im Tempel spielte, ist vor zwei Jahren im Alter von 67 Jahren verstorben.

Nachdem er, genau wie ich, von dem schwarzen Regen betroffen worden war, litt er immer an Mangelerscheinungen seines Skeletts und hatte eine schwache Gesundheit. Er starb im Alter von 67 Jahren an Leberkrebs.

Ich sehe, wie die Überlebenden nach und nach sterben, und so lebe ich sehr besorgt um meine Gesundheit.

Ich würde auch gern eine Geschichte zum Origami vorstellen, das sind Kraniche, die aus Papier gefaltet werden, was für uns und jetzt auch weltweit ein Friedenssymbol ist, und bei dieser Geschichte erwähne ich immer das Schicksal eines Mädchens namens Sadako Sasaki, das im Alter von 12 Jahren an Leukämie verstorben ist. 

Dieses Jahr, als ich im Mai an der Konferenz über Nichtweiterverbreitung der Atomwaffen in New York teilgenommen habe, bot sich mir die Möglichkeit, den Bruder von Sadako Sasaki kennen zu lernen.

Ich möchte Ihnen ein bisschen die Geschichte von  Sadako Sasaki erläutern. Sie war, so wie ich, dem schwarzen Regen ausgesetzt gewesen, und wuchs bis zum Alter von 10 Jahren gesund auf. Dann wurde sie ins Krankenhaus eingeliefert, da es ihr schlecht ging, und blieb im Krankenhaus.

Sie glaubte daran, dass sie gesunden würde, wenn sie 1.000 Kraniche falten würde. Und nach dem, was ihr Bruder erzählt, faltete sie Kraniche, bis… Nun gut, zu jener Zeit gab es bei uns kein Papier, so verwendete sie jenes Papier, in das die Medizin eingewickelt war, und hat auch Kraniche aus Nadeln angefertigt. Sie hat immer, bis zu ihrem Tode gesagt: „Ich möchte noch weiter leben, ich möchte noch weiter leben.“

Ich befinde mich in derselben Situation wie Sadako Sasaki, da ich auch dem schwarzen Regen im Alter von zwei Jahren ausgesetzt war, sie ist gestorben und ich überlebe noch. Deshalb spüre ich eine große Verantwortung dafür, zu übermitteln, was die Atombombe ist und was die Überlebenden sind. Die Überlebenden müssen bis zu ihrem Tode mit sehr vielen körperlichen Gebrechen leben und auch seelisch mit viel Kummer, und das müssen wir den nachfolgenden Generationen übermitteln.

Jetzt haben wir weltweit gelernt, dass es auf der Welt verschiedene Arten der Hibakusha gibt, an verschiedenen Orten, zum Beispiel die indigene Bevölkerung bzw. Urbevölkerung erleidet viele Strahlungsschäden, wenn sie das Uran aus den Minen fördert, ebenfalls die Menschen, die in der Nähe von Atomkraftwerken leben. Und diese Dinge müssen wir lernen und auch die Menschen erziehen.

Als ich vor zwei Jahren am Projekt Hibakusha teilgenommen habe, gab es einen japanischen Mann, den Regisseur des Dokumentarfilms, der die Kosten für meinen Aufenthalt an Bord gedeckt hat und dann auch meinen Vati interviewt hat, der 98 Jahre alt ist.  Das, was mein Vater gesagt hat, wusste ich bis dahin nicht. Mein Vater hat Folgendes gesagt.  Der Regisseur hat meinen Vater gefragt: „Warum hast du Junko nicht die Wahrheit gesagt?“ 

Von der Bombe bis heute wurden die Mädchen, die die Auswirkungen der Atombombe zu spüren bekommen haben, obwohl sie Überlebende sind, diskriminiert und es war sehr schwer für sie zu heiraten. So konnten wir erkennen, dass ich, ein Überlebender, zum Glück keinerlei körperliche Probleme gehabt habe, aber es gibt viele Ärzte, die sagen, dass die Strahlungsauswirkungen auch in der nächsten Generation auftauchen.

Wird morgen fortgesetzt.

 

Fidel Castro Ruz

24. September 2010

15:38 Uhr